Mord an der Leine
verlegen mit der Fingerspitze eine Figur auf der Tischplatte
nachzeichnete. Madsack machte einen bekümmerten Eindruck. Ihm war anzumerken,
dass ihn die Auseinandersetzung berührte.
»Das kommt nicht ins Protokoll, Frau Westerwelle«,
sagte der Kriminaloberrat zur Schreibkraft. Dann zog er die linke Augenbraue in
die Höhe, als er Fraukes Reaktion registrierte.
Sie lächelte.
Ehlers räusperte sich. »Fahren Sie bitte fort, Herr
Richter.«
Dem Hauptkommissar war der Ärger deutlich anzumerken.
»Wir haben die Akten sichergestellt«, erklärte er. »Sie befinden sich in
unseren Diensträumen. Der Tote ist zur Rechtsmedizin verbracht worden. Mit dem
Obduktionsergebnis können wir frühestens morgen rechnen.«
»Wir sollten davon ausgehen, dass er erstickt ist«,
mischte sich Frauke ein.
Richter sah sie böse an. »Darf ich meine Ausführungen
zunächst zu Ende bringen? Das Tatwerkzeug ist in der KTU . Der Bericht der Spurensicherung liegt noch nicht vor.
Zeugen haben wir nicht ausmachen können, zumindest keine, die etwas Brauchbares
sagen konnten.«
Frauke wollte antworten, aber Ehlers unterbrach sie
und zeigte in Richtung Lars von Wedell.
»Das klingt vielleicht blöde«, warf der junge
Kommissar ein. »Aber wieso ist das Opfer erstickt, wenn es mit einem
Fleischklopfer erschlagen wurde?«
Plötzlich sahen alle Frauke an.
»Wir haben gesehen, dass vermutlich mehrfach auf
Manfredi eingeschlagen wurde. Das Opfer hat sich möglicherweise über den
Schreibtisch gebeugt, als der Täter oder die Täterin zuschlug. Durch den
krummen Rücken musste der Mörder – ich spreche jetzt der Einfachheit halber nur
in der männlichen Form – einen längeren Weg zurücklegen und hat Manfredi nicht
oben auf dem Kopf, sondern am Hinterkopf getroffen, und zwar an einer sehr
unglücklichen Stelle. Wenn Sie vom Hals die Wirbelsäule aufwärtstasten, spüren
Sie am unteren Kopf eine Kuhle und kurz darauf einen Knubbel.«
Frauke sah in die Runde. Lars von Wedell war mit
seiner linken Hand simultan Fraukes Erläuterungen gefolgt und nickte erkennend.
Auch Putensenf hatte seinen Arm erhoben, fuhr aber fast erschrocken zusammen,
als die Blicke auf ihn gerichtet wurden, und murmelte: »So ein Blödsinn. Wie im
Kindergarten.«
»Dahinten sitzt die Medulla oblongata. Das ist das
verlängerte Mark und Teil des Hirnstammes. Es gehört somit zum zentralen
Nervensystem und steuert die wesentlichen vitalen Funktionen. Speziell finden
wir dort das Atemzentrum. Wenn es durch die Compressio, die Gehirnquetschung,
zu einer Ödembildung, also zu einer Gefäßschädigung im Hirn, kommt, drückt der
Bluterguss auf das Atemzentrum, und binnen kurzer Zeit erstickt das Opfer.«
»Spannend«, murmelte Putensenf, während Madsack
anerkennend nickte.
»Wir warten, bis der Bericht der Rechtsmedizin
vorliegt«, sagte Richter. »Es ist nicht unsere Art, uns auf Vermutungen zu
stützen.«
»Was ist mit der Türblockade?«, fragte Frauke in den
Raum.
Der Kriminaloberrat sah sie an. »Was meinen Sie
damit?«
»Die Tür zum Hausflur, das heißt zur Straße, war
offen. Irgendjemand hat sie blockiert.«
Jakob Putensenf hob wie ein Grundschüler seinen
Zeigefinger. »Darum habe ich mich gekümmert«, erklärte er, als Richter ihn
ansah. »Das war ein Mitbewohner. Der hat die Angewohnheit, die Haustür mit
einem kleinen selbst geschnitzten Keil offen zu halten, wenn er Dinge aus dem
Keller auf die Straße trägt oder sein Auto auslädt.«
»Hat der etwas gesehen?«, fragte Frauke.
»Leider nicht. Er war eine ganze Weile in seinem
Keller mit Umräumarbeiten beschäftigt und hat Leergut sortiert. Während dieser
Zeit muss der Mord geschehen sein. Jedenfalls ist der Nachbar durch den Lärm,
den der Polizeieinsatz ausgelöst hat, aus dem Keller gelockt worden.«
»Schade«, stellte Frauke fest. »Wenn der Täter die Tür
blockiert hätte, wüssten wir, dass es eine geplante Tat war und der Mörder sich
den Fluchtweg frei halten wollte. So bleiben wir im Ungewissen, ob es
vorsätzlich war oder Manfredi als Folge eines Streits erschlagen wurde.
Übrigens habe ich in Ihrer Zusammenfassung einen Punkt vermisst.« Sie wandte
sich an Richter. »Was ist mit der Lieferung, die der Paketbote heute gebracht
hat?«
Dem Hauptkommissar stieg die Zornesröte ins Gesicht.
»Das hätte ich noch erklärt«, sagte er eine Spur zu hastig. »Die Steine sind
ebenfalls im Labor. Die erste Vermutung lautet, dass es Marmorproben sind.«
»Marmor?«, fragten Putensenf und Lars
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