Mord an der Leine
hat sich das angesehen, weil der Mann im
Zimmer einen Koffer hinterlassen hat. Mit lauter Frauensachen. Das kam ihnen
merkwürdig vor, weil das Hotelpersonal schwor, der Mann hätte allein in dem
Zimmer übernachtet und wäre gestern mit zwei Stück Gepäck angereist. Und da er
sich an der Rezeption mit seinem Namen angemeldet hat, haben die Kollegen
geschaltet und uns informiert, weil einem unsere Fahndung in Erinnerung war.«
»Das soll doch nicht heißen, dass sich Thomas
Tuchtenhagen unter seinem richtigen Namen dort eingemietet hat?«
»Doch. Oder jemand hat seine Identität benutzt.«
Es hätte nichts gebracht, Putensenf weiterzubefragen.
Offenbar wusste er auch nichts.
Das Gebäude wirkte in dieser bürgerlichen Gegend
urgemütlich. Man konnte sich schon von außen die familiäre Atmosphäre in dieser
Pension vorstellen. Das lag nicht nur an der ruhigen Lage gegenüber dem
Mittellandkanal, der durch einen dichten Grünstreifen und einen Wanderweg
abgegrenzt wurde. Es war unproblematisch, direkt vor dem Haus einen Parkplatz
zu finden.
Schon im Eingang kam ihnen ein aufgelöst wirkender
älterer Mann entgegen, dem die Haare des grauen Kranzes vom Kopf abstanden, als
hätte er kurz zuvor in eine Steckdose gefasst.
»Sie sind von der Polizei?«, fragte er atemlos, und
als Putensenf nickte, ergänzte er: »Das ist vielleicht ein Ding. Es kommt nicht
oft vor, dass jemand versucht, sich aus dem Staub zu machen, ohne zu bezahlen.
Meine Frau hat den Gast gestern empfangen. Wir sind nämlich ein reiner
Familienbetrieb. ›Komisch‹, hat sie zu mir noch gesagt. ›Der wohnt in Hannover.
Warum nimmt er sich ein Hotelzimmer?‹ Ich habe gesagt, dass er vielleicht Ärger
mit seiner Frau hat. Und dann reist er heute ab, ohne zu bezahlen. Dabei sah er
wirklich solide aus. Und zwei Koffer hatte er dabei. Nein, so was.«
»Haben Sie oder Ihre Frau mit dem Gast gesprochen?«
»Nur meine Frau. Ich war gestern beim Zahnarzt. Das
war schon seit Langem geplant. Ich plage mich …«
»Herr … ähhh«, unterbrach Putensenf den Redeschwall
des Mannes.
»Kellermann. Wie Hotel Kellermann garni. Schon seit
über dreißig Jahren.«
Der Hotelier war ins Haus zurückgekehrt, und die
beiden Beamten folgten ihm.
»Der hat sich mit seinem richtigen Namen angemeldet.
Als wir feststellten, dass er abgehauen war, ich – nix wie ans Telefon. Aber da
hat sich keiner gemeldet. Das wundert mich nicht. Warum hat er sonst auswärts
übernachtet?«
Frauke war ein wenig überrascht, als Putensenf ein
Foto hervorzauberte und es Kellermann vor die Nase hielt.
»Erkennen Sie den Mann wieder?«
»Moment«, sagte der Hotelbesitzer und verschwand
hinter dem Tresen an der Rezeption. »Wo ist nur meine Brille?«, murmelte er
mehrfach, bis ein erleichtertes »Ach, hier« zu hören war. Dann tauchte er
wieder auf, nahm Putensenf das Bild aus der Hand.
»Ist er das?«, fragte Kellermann nach einer Weile.
»Das möchten wir gern von Ihnen wissen«, antwortete
Putensenf.
»Ja – wieso? Ich habe ihn doch nicht gesehen. Das war
doch meine Frau.«
»Können wir mit ihr sprechen?«
»Sicher. Natürlich. Kleinen Moment. Ich rufe sie.« Er
verschwand durch eine Tür in den hinteren Bereich und kehrte kurz darauf mit
einer im Alter zu ihm passenden Frau mit erkennbar blond gefärbtem Haar zurück.
»Das ist meine Frau«, erklärte er und zeigte auf die beiden Beamten. »Die
Herrschaften sind von der Polizei, Monika«, sagte er.
Frau Kellermann reichte erst Frauke, dann Putensenf
die Hand. »Haben Sie mit Harry, meinem Mann, gesprochen?«
»Er hat uns schon in Kenntnis gesetzt«, nickte
Putensenf und gab ihr das Foto zur Ansicht. »War das der Gast, den Sie gestern
aufgenommen haben?«
Sie warf nur einen kurzen Blick auf das Bild.
»Hundertprozentig«, bestätigte sie.
»Man gewinnt in unserem Geschäft Routine im Merken von
Gesichtern«, sagte Harry Kellermann. »Sie können ja nicht jeden Gast fragen,
welche Zimmernummer er hat, wenn er das zweite Mal an die Rezeption kommt. Das
darf man sich in einem Familienbetrieb wie unserem nicht erl…«
»Ich glaube, das interessiert die Polizei nicht«,
bremste Frau Kellermann ihren Gatten.
»Dürfen wir die Anmeldung sehen?«, bat Putensenf.
»Die haben wir schon rausgelegt«, sagte Kellermann und
griff zu einem einzelnen Blatt Papier, das auf dem Tresen lag.
Frauke sah Putensenf über die Schulter. Tuchtenhagen
hatte die Anmeldung korrekt mit seinen persönlichen Daten ausgefüllt.
»Dürfen wir
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