Mord an der Leine
Frauke
nachdenklich. »Natürlich gilt der eherne Grundsatz, dass in jedem Fall der
Eigenschutz Vorrang hat. Sie werden nicht allein gehen.«
»Wollen Sie mich begleiten?«
»Nein«, sagte Frauke entschieden. »Sie werden den
Dienstweg einhalten und Richter informieren. Der soll alles organisieren.«
»Hm«, nickte der junge Kommissar.
»Haben Sie die Stimme schon einmal gehört?«
»Nicht am Telefon. Ich bin mir nicht sicher. Aber mit
ein wenig Phantasie könnte es Simone Bassetti gewesen sein.«
»Die Zufallsbekanntschaft aus der Pizzeria, die ebenso
zufällig bei Schröder-Fleisch tätig und heute nicht zur Arbeit erschienen ist.«
Nach ihrer Rückkehr von Schröder-Fleisch hatten Frauke
und Lars von Wedell Hauptkommissar Richter aufgesucht. Von Wedell hatte von dem
anonymen Anruf berichtet, der ihn um einundzwanzig Uhr fünfzehn zur Messe
bestellt hatte.
Richter überlegte und wirkte irritiert, weil Frauke
ihn nur musterte, sich aber jeden Kommentars enthielt.
»Was meinen Sie?«, fragte er sie.
Sie zuckte die Schultern und zeigte mit der ganzen
offenen Hand auf ihn. »Die Entscheidung liegt bei Ihnen.«
Daraufhin bat Richter die beiden anderen
Teammitglieder dazu, und von Wedell musste erneut berichten.
»Da will uns einer verarschen. Der tickt doch nicht
richtig«, empörte sich Putensenf.
»Nun mal langsam, Jakob. Immerhin glaubt unser junger
Kollege, dass es sich bei dem Anrufer um den Mann handeln könnte, den er
zufällig in der Pizzeria Italia getroffen hat. Wir wissen inzwischen, dass er
Simone Bassetti heißt«, erklärte Richter.
»Simone? Ein italienisches Mannweib? Oder eine
Schwuchtel?«
»Irrtum, Jakob. Das ist ein durchaus gebräuchlicher Männername
jenseits der Alpen«, mischte sich Madsack ein.
Putensenf tippte sich an die Stirn. »Die haben’s doch
nicht mehr ganz. So ist das, wenn man hinter den Bergen wohnt.«
»Die Römer hatten schon eine Hochkultur, als unsere
Vorfahren noch in Höhlen hausten und Wölfe jagten«, sagte Frauke. »Und wenn Sie
einem Italiener Ihren Zunamen erklären, wird der sich totlachen. Pute in der
Bratröhre – ja. Aber doch nicht mit Senf.«
Putensenfs Gesichtsmuskeln zuckten. »Wollen Sie
persönlich werden?«, keifte er.
»Ich habe mich nur Ihrem Stil angepasst. Seitdem ich
hier bin, höre ich von Ihnen nur solche Äußerungen.«
»Dobermann! Sie brauchen wohl immer einen Knochen, an
dem Sie herumnagen können!«, schimpfte Putensenf.
»Manchmal dauert es ein wenig. Aber bisher habe ich
alle Knochen kleinbekommen. Auch die alten.«
»Sie! Sie …«
Putensenf schoss das Blut in den Kopf. Bevor er mit
knallrotem Kopf antworten konnte, fuhr Richter dazwischen. »Schluss jetzt! Ich
dulde keine Albernheiten dieser Art in meinem Team. Sie halten sich jetzt
zurück. Beide! Sonst donnert es.«
Frauke neigte den Kopf ein wenig zur Seite und grinste
Putensenf an.
»Dumme Ziege«, zischte der zurück und faltete die
Hände so heftig zusammen, dass die Knöchel weiß hervortraten.
Während des Disputs hatten Madsack und von Wedell
betreten einen imaginären Fixpunkt irgendwo im Raum angestarrt.
»Wir müssen den Anruf ernst nehmen«, beschied Richter.
»Simone Bassetti ist auch bei Schröder-Fleisch beschäftigt. Dort übt er nach
den Worten des polnischen Vorarbeiters – wie heißt der noch gleich?«
»Marek Besofski«, half von Wedell aus.
»Danke, Lars. Bassetti kennt Tuchtenhagen. Vielleicht
hat der Mann uns etwas zu erzählen. Wir sollten der Spur nachgehen.«
»Warum meldet sich der Italiener nicht bei der
Polizei, wie es jeder andere tun würde?«, gab Madsack zu bedenken.
»Das werden wir erfahren, wenn wir heute Abend mit ihm
sprechen«, sagte Richter.
»Wir?«, fragte Putensenf, nicht ohne zuvor einen
giftigen Blick auf Frauke zu werfen.
»Richtig. Lars wird den Termin wahrnehmen. Und wir
werden ihn begleiten.«
»Und wie stellst du dir das vor?«, wollte Madsack
wissen.
Richter erläuterte seinen Plan.
Die Dämmerung war hereingebrochen, und das letzte
Restlicht des Tages ließ das verlassen daliegende Messegelände finster
erscheinen. Während sich hier zu Zeiten der C e BIT , der Hannover-Messe oder anderer
Veranstaltungen die Menschenmassen tummelten, wirkte der Platz an der großen
Freitreppe bei der ehemaligen Exponale trist und verlassen.
Der leichte Nieselregen hatte bereits am Nachmittag
wieder eingesetzt, und Pfützen übersäten die Fläche, über die sonst Besucher
aus aller Welt hinwegtrampelten. Mobile
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