Mord an der Leine
bin in der Wohnung Ihrer Tochter.«
»Ist was mit ihr?«, wurde sie durch den Vater
unterbrochen.
»Nicht mit ihrer Tochter. Ich bin eine Kollegin von
Lars. Der hatte einen Dienstunfall. Ist es Ihnen möglich, nach Hannover zu
kommen? Ihre Tochter braucht sie.«
»Ich komme. Sofort«, sagte Herr Krafft.
Im Stillen bewunderte Frauke den ihr unbekannten
Vater, der, ohne nach Einzelheiten zu fragen, sofort beschlossen hatte, sich
auf den Weg in die niedersächsische Landeshauptstadt zu machen.
»Ich bleib bei dir, bis dein Vater da ist«, sagte
Frauke. »Soll ich einen Tee machen?«
Gesa Krafft schüttelte den Kopf. »Keinen Tee.« Sie
hatte einen glasigen Blick, weinte aber nicht. »Ich muss hier raus«, sagte sie.
»Ich kann hier nicht bleiben. In diesem Zimmer. In der Wohnung.«
»Wollen wir auf der Dienststelle warten?«
»Nein. Bloß nicht bei der Polizei. Ich möchte in
unsere Pizzeria«, sagte sie plötzlich. »Die, in die Lars dich einladen wollte.«
Plötzlich sprang sie auf und rannte aus dem Raum. Durch die offenen Türen hörte
Frauke, wie sich Gesa Krafft im Badezimmer erbrach.
Ein paar Stufen führten zum Eingang der Pizzeria
Italia. Durch eines der beiden Fenster war der große Pizzaofen zu sehen. Ein
junger Mann wirbelte gekonnt einen runden Teigfladen in die Höhe, sah dem in
der Luft rotierenden Pizzaboden nach und fing ihn geschickt mit einer Hand
wieder auf. Zwischendurch fand er auch noch Zeit, den beiden Frauen, die zum
Eingang strebten, zuzulächeln. Frauke verharrte für einen kurzen Moment in
ihrer Bewegung.
Für die Mehrheit der Menschen bedeutet der Besuch
eines Restaurants Abwechslung, Heiterkeit, das Treffen mit Freunden. Wie lange
war es her, setzte sie ihren Gedanken fort, dass sie zum eigenen Vergnügen ein
Lokal aufgesucht hatte? War der berufliche Erfolg es wert, das eigene Leben
aufzugeben? Und selbst der freundliche Pizzabäcker konnte ihre innere
Zerrissenheit nicht heilen. Sie war nicht freiwillig in Hannover. Ein Schauder
lief ihr über den Rücken. Wer nahm sich ihrer eigenen Sorgen an? Stattdessen
musste sie Lars’ Freundin trösten.
Dann öffnete sie die Tür. Wenn man Italien als
Duftnote beschreiben müsste, so war es die Luft, die ihr entgegenkam. Der
Geruch von Pizza, Wein, Kerzen, überbackenem Käse … Eine Sinneswahrnehmung al
forno.
»Zwei Plätze?«, begrüßte sie ein Kellner freundlich.
Frauke nickte.
»Hier bitte.« Der Mann mit den schwarzen Haaren und
der beginnenden Lichtung seines Haupthaares führte sie zu einem Vierertisch in
den Hintergrund des Raumes. Frauke bemerkte einen schmalen Durchgang, der zu
einem Gastraum führte.
»Ist es dort ruhiger?«, fragte sie mit einem Blick auf
die lebhaft an den Tischen geführten Unterhaltungen, obwohl niemand der
Anwesenden den beiden Beachtung schenkte.
»Sonst ja«, bedauerte der Kellner. »Aber heute ist es
leider voll.« Er neigte sich ein wenig zu Frauke vor. »Dort sind lauter
Frauen.« Er verdrehte dabei gekonnt die Augen und ließ offen, ob er sich
dadurch genervt fühlte oder die von Südeuropäern oft erwartete besondere
Aufmerksamkeit gegenüber dem weiblichen Geschlecht gemeint war.
Sie nahmen Platz an dem Vierertisch.
»Darf es etwas zu trinken sein?«, fragte der Kellner
und wedelte mit einer Serviette ein paar Brotkrumen von der Tischdecke.
Frauke sah Gesa Krafft fragend an.
»Ein Rotwein«, sagte die junge Frau.
»Für mich auch. Valpolicella«, ergänzte Frauke und
nahm die Speisekarten entgegen, die ihnen der Kellner reichte.
Es hatte eine Weile gedauert, bis von Wedells Freundin
wieder aus dem Bad gekommen war. Frauke hatte ihr bewusst Zeit gelassen. Gesa
Krafft musste allein mit der Nachricht fertig werden. Sie hatte sich danach
stumm neben Frauke gesetzt, den Kopf an ihre Schulter gelegt und still geweint.
Obwohl sie ihre Augen mit kaltem Wasser ausgewaschen und anschließend ein wenig
Make-up aufgelegt hatte, sah man Gesa Krafft an, dass sie geweint hatte.
»Warum musste das sein?«, fragte sie. »Warum
ausgerechnet Lars? Erst vor Kurzem ist er Kommissar geworden. Lars war stolz,
in dieser Spezialeinheit eingesetzt zu werden. Was ist das überhaupt für ein
Team?«
»Es gibt Fragen, die man nicht so einfach beantworten
kann«, sagte Frauke ausweichend und wurde durch den Kellner unterbrochen, der
den Wein brachte.
»Haben Sie schon gewählt?«, fragte er und zeigte auf
die Speisekarten.
»Ich möchte eine Pizza Caprese«, sagte Gesa Krafft,
ohne zu gucken. »Die esse ich
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