Mord an der Leine
fälligen Abgaben pünktlich gezahlt. Subventionen hat er
nicht beantragt – ein braver Steuerzahler, den niemand kontrollieren muss.«
»Und dabei hat er …«
»Genau. Das nennt man Geldwäsche. Mit schmutzigem Geld
wurden die Rechnungen für die Scheingeschäfte bezahlt. Und so hat Manfredi es
gewaschen. Es fragt doch hierzulande niemand, wer hinter den Auftraggebern in
diesen exotischen Ländern steckt.«
»Donnerwetter.« Madsack wischte mit dem Handrücken
über die Stirn. »Italiener …«
»… Mafia«, ergänzte Frauke.
»Und wie hängt das Ehepaar Tuchtenhagen in der Sache?«
»Dafür habe ich auch keine Erklärung«, gestand Frauke
ein. »Es ist nicht auszuschließen, dass Manfredi ein Techtelmechtel mit seiner
Sekretärin angefangen hat. Ihr Ehemann hat den Liebhaber zur Rechenschaft
ziehen wollen, und dabei ist es zu einem Handgemenge mit tödlichem Ausgang
gekommen. Und weil Tuchtenhagen dadurch die ruhigen und einträglichen Geschäfte
der ehrenwerten Gesellschaft gestört hat, jagt man ihn jetzt.«
»Aber warum hat Tuchtenhagen unseren Kollegen
ermordet?«
»Die Frage kann ich auch nicht beantworten. Aber
vielleicht gibt es hierüber eine Verbindung.« Sie hielt einen schmalen Ordner
in die Höhe. »Hier sind Lieferschein und Rechnungen. Manfredi hat auch in
Deutschland eingekauft. Jede Menge Schinken. Sind Sie sehr überrascht, wenn er
den von Schröder-Fleisch bezogen hat?«
»Das Ganze wird immer merkwürdiger, obwohl ich mir
nicht vorstellen kann, dass so ein Unternehmen sich in Luftgeschäfte verwickeln
lässt.«
» Das waren keine Phantomverträge. Auf den
Lieferscheinen finden sich die Übergabebestätigungen der Spedition.« Sie nannte
den Namen.
»Die kenne ich«, sagte Madsack. »Deren Fahrzeuge sieht
man zuhauf auf den Autobahnen.«
»Dann lassen Sie uns suchen, wer den Schinken erhalten
hat. Manfredi wird ihn kaum selbst verzehrt haben. Irgendwo muss das Zeug
geblieben sein.«
Sie vertieften sich erneut in die Unterlagen. Stapel
um Stapel wurde umgeschichtet, Papier raschelte, unterbrochen, wenn einer der
beiden zum lange erkalteten Kaffee griff oder Madsack sich erneut aus der Tüte
mit Lakritzkonfekt bediente.
»Hier«, sagte Frauke nach zwei weiteren Stunden. »Das
sind die Verkäufe. Ein Exporteur aus Hamburg.«
Sie verglichen die Rechnungen, die Manfredi von
Schröder-Fleisch für den gelieferten Schinken bekommen hatte, mit denen, die er
dem Hamburger gestellt hatte. Die Ware wurde partienweise abgerechnet, und die
Liefermenge stimmte stets überein.
»Da haben wir den Beweis. Manfredi hat bei
Schröder-Fleisch eingekauft und alles an die Hamburger Firma weiterverkauft.«
»Daran ist aber nichts Ungesetzliches«, sagte Frauke.
»Trotzdem sollten wir nachfragen. Ist Ihnen auch aufgefallen, dass Manfredi
eine recht hohe Handelsspanne hatte? Der Unterschied zwischen Einstands- und
Abgabepreis ist gewaltig. Verdient man so viel mit Lebensmitteln? Uns wird doch
immer wieder vorgegaukelt, dass die Margen sich im unteren Prozentbereich
bewegen.«
Madsack notierte sich die Daten des Hamburger
Exporteurs. »Ich kümmere mich darum«, sagte er. »Morgen«, schob er hinterher,
als er einen Blick auf die Uhr warf. Dann machte er sich an seinem Computer zu
schaffen. »Die Goslarer Kollegen sind aber von der schnellen Truppe«, sagte er.
»Die haben uns das Bild geschickt, das sie nach Zeugenaussagen von dem zweiten
Beteiligten an der Schießerei vor der Kaiserpfalz gefertigt haben. Das könnte
Simone Bassetti sein.«
Frauke umrundete den Schreibtisch und sah auf den
Bildschirm. Tatsächlich wies die Phantomzeichnung, die heute mittels eines
Softwarebaukastens erstellt wird, eine hohe Ähnlichkeit mit dem jungen Mann aus
der Fleischfabrik auf.
Das Aktenstudium hatte länger gedauert, als Frauke
geglaubt hatte. Dafür waren sie wieder ein Stück vorangekommen. Und nun, dachte
Frauke, steht dir wieder ein öder Abend im kahlen Hotelzimmer bevor. Du bist
noch nicht in Hannover angekommen, schoss es ihr durch den Kopf. Aber konnte
man das am dritten Tag erwarten? Ungeduld war immer eine deiner Untugenden,
tröstete sie sich.
Es war ein schöner Abend. Der Spätsommer zeigte sich
von seiner besten Seite, und die Menschen nutzten das gute Wetter aus. Sie
bevölkerten in Scharen den Bummelbereich zwischen Hauptbahnhof, Kröpcke und der
Georgstraße. Die Straßencafés waren gut besucht, und überall schien die gute
Laune Einzug gehalten zu haben.
Frauke fühlte sich wie ein
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