Mord an der Leine
Platz
gegenüber, legte die gefalteten Hände, die die Geldbörse hielten, auf den Tisch
und sagte: »Wir sind erschüttert. Man glaubt nie, dass sich so etwas in der
eigenen Umgebung abspielen kann. Der junge Mann und seine Freundin sind in der
letzten Zeit öfter hier gewesen.«
»Sie haben ein gutes Personengedächtnis«, sagte
Frauke.
»Das ist in unserer Branche wichtig. Die Stammgäste
erwarten, dass sie ungefragt ihr Lieblingsgetränk serviert bekommen und dass
wir wissen, welche abweichende Variante von der Speisekarte sie wünschen. Ich
habe allerdings nicht gewusst, dass der junge Mann Polizist war.«
»Kennen Sie Simone Bassetti?«
»Ja. Sicher. Der wohnt hier ganz in der Nähe. Er kommt
öfter zu uns, allein weil er hier Landsleute trifft und Italienisch sprechen
kann. Wenn Fußball ist, stellen wir einen Fernseher auf. Sie sollten mal
erleben, was dann los ist.« Sie lächelte leise in sich hinein. »Ich habe
vorgestern zufällig mitbekommen, wie Simone und der andere Gast ins Gespräch
gekommen sind.«
»Worüber haben die beiden gesprochen?«
Die Wirtin hob bedauernd die Schultern. »Das kann ich
nicht sagen. Sie sehen selbst, was hier los ist.«
»Haben die beiden Männer miteinander gestritten?«
Die Frau überlegte einen Moment. »Den Eindruck hatte
ich nicht.«
»Haben Sie oft italienische Gäste?«
»Nur vereinzelt. Mein Mann und ich betreiben das Lokal
seit mehr als einem Vierteljahrhundert. Gelegentlich ist mal ein Italiener
darunter. Aber die Mehrheit unserer Gäste sind Einheimische. Überwiegend aus
der Gegend.«
»Kennen Sie Marcello Manfredi?«
»Nie gehört.«
»Freunde von Simone Bassetti?«
»Keine.«
»Und Ihr Mann? Könnte ich mit dem sprechen?«
»Ausgeschlossen. Was glauben Sie, was hier los ist,
wenn der nicht am Ofen bleibt? Das würde uns die Gäste vergraulen.«
»Hallo«, rief eine Gruppe junger Leute vom Nebentisch.
»Entschuldigung«, sagte die Wirtin. »Aber ich muss
wieder.« Sie stand auf und nahm die Wünsche der anderen Gäste auf.
Frauke verließ die Pizzeria und blieb vor der Tür
stehen. Inzwischen war es dunkel geworden. Langsam schlenderte sie durch die
stillen Straßen. Einer Eingebung folgend, ging sie zur Wohnung Simone
Bassettis. Die Sedanstraße lag nur einen Steinwurf von der Pizzeria entfernt.
Vor dem vietnamesischen Restaurant stand eine ältere Frau und schaukelte
behutsam einen Kinderwagen, während sie Frauke freundlich zunickte.
Von der gegenüberliegenden Straßenseite betrachtete
sie das Haus mit der schlichten grauen Betonfassade. Lediglich der einsame Baum
im Vorgarten war ein Blickfang in der Tristesse. Zahlreiche Fenster waren hell
erleuchtet, und bis auf die Straße schimmerte der blau flackernde Schein der
Fernsehgeräte. Plötzlich stutzte sie. In jeder Etage brannte mindestens hinter
einem Fenster Licht, und zwar auf jeder Gebäudeseite. Das bedeutete, dass sich
in allen Wohnungen jemand aufhielt. Auch in Bassettis Wohnung. Sie widerstand
der Versuchung, an der Haustür zu klingeln, und wählte übers Handy ihre
Dienststelle an. Niemand meldete sich. Jetzt rächte sich, dass sie noch nicht
mit der Organisation der hiesigen Polizei vertraut war. Kurzentschlossen wählte
sie den Polizeinotruf 110. Der diensthabende Beamte schien ihr nur bedingt
Glauben schenken zu wollen, als sie sich mit Namen und Dienststellung meldete,
versprach aber, einen Streifenwagen vorbeizuschicken. Immerhin klappte es, dass
das Einsatzfahrzeug weder mit Blaulicht noch mit Martinshorn vorfuhr.
Das Licht in der Wohnung war während der Wartezeit
nicht erloschen. Als die beiden Beamten, zwei stämmige Männer, ausgestiegen
waren, trat Frauke aus dem Schatten des Hauses.
»Dobermann, LKA «,
stellte sie sich vor und zeigte dem ersten Polizisten, einem Hauptkommissar mit
den ersten grauen Stellen an den Schläfen, ihren Dienstausweis.
»Brumund«, sagte der Uniformierte und zeigte auf den
zweiten Polizisten. »Das ist der Kollege Schneiderhahn.«
»Es geht um die Festsetzung eines Tatverdächtigen, der
zur Fahndung ausgeschrieben ist. Ich benötige dazu Amtshilfe.«
»Wie heißt er? Wo wohnt er?«, fragte Brumund.
Frauke zeigte auf das Haus. »Simone Bassetti, zweite
Etage. Ich schlage vor, wir klingeln zunächst an einer anderen Haustür und
überraschen den Gesuchten direkt vor seiner Wohnung. Vorsicht. Der Mann ist
möglicherweise bewaffnet.«
»Dann wollen wir mal«, sagte Brumund und schob sich
seine Mütze keck ein wenig in den Nacken.
Sie
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