Mord an der Leine
Das Heroin war so gut getarnt, dass es dem
Zoll nicht aufgefallen war. Ein Delikatessengeschäft in Oslo hat den Schinken
erworben und ist beim Anschneiden auf das Tütchen Rauschgift gestoßen. Ein
eifriger Mitarbeiter hat die Polizei verständigt, die diskret ermittelt hat.
Dabei stellte sich heraus, dass auch noch drei andere Kunden unfreiwillig Heroin
erhalten haben. Nach Auskunft des norwegischen Zolls sind die Empfänger ebenso
unbeteiligt wie der norwegische Importeur, der versicherte, das erste Mal Ware
von Marcello Manfredi bezogen zu haben. Wir müssen deshalb davon ausgehen, dass
die Parmaschinken gar nicht für Norwegen bestimmt waren.«
Frauke berichtete von ihrer Entdeckung, dass es sich
bei dem Parmaschinken um eine Fälschung aus dem Hause Schröder-Fleisch handeln
würde.
»Damit erklärt sich auch, weshalb Simone Bassetti die
Produktion überwachte. Der Mann hat vermutlich die Heroinpäckchen in die
Schinken platziert, bevor die mit falschen Etiketten verpackt wurden«, schloss
Frauke ihren Bericht. »Der polnische Vorarbeiter Marek Besofski hat sich
gewundert, weshalb ein weiterer Mann dort tätig war, der nach seiner Aussage
nicht in den eigentlichen Herstellungsprozess eingebunden war.«
»Es ist schon erstaunlich, dass ausgerechnet das
verpönte Schweinefleisch als ›Hülle‹ für den Rauschgiftschmuggel in den
arabischen Raum genutzt wird. Irgendwer hat sich bei den Lieferungen vertan,
und die präparierten Schinken sind aus Versehen nach Norwegen gegangen.«
Hilbiger nickte. »Die Skandinavier waren überrascht,
als ihnen plötzlich Rauschgift frei Haus geliefert wurde. Und die nächste
Überraschung war, als wir hörten, dass unser Hauptverdächtigter Manfredi
ermordet wurde.«
»Das könnte dem ganzen Fall eine Wendung geben«,
überlegte Frauke.
Ehlers erhob sich. »Dann wollen wir unsere neuen
Erkenntnisse in die Tat umsetzen.« Er zwinkerte Frauke zu. »Wir beide werden
Richter und Madsack ablösen und die Vernehmung Bassettis fortsetzen.«
Zu dritt gingen sie in den Nebenraum des
Verhörzimmers. Durch einen venezianischen Spiegel konnten sie einen Blick auf
die vier Männer werfen.
Bassetti hatte sich auf dem Stuhl hingeflegelt und
kaute mit offenem Mund Kaugummi. Neben ihm saß ein kleines Hutzelmännchen. Der
Anwalt mit dem faltenreichen Gesicht und der zerbrechlichen Gestalt blätterte
in seinen Unterlagen. Madsack hatte sich ein wenig zurückgelehnt und die Hände
vor der Brust verschränkt, während Richter die Unterarme auf der Tischkante
liegen hatte, die Hände gefaltet hielt und nervös seine Finger bewegte.
Das ist kein gutes Signal für den Verdächtigten und
seinen Anwalt, dachte Frauke. Sie war überzeugt, dass Dottore Carretta ein
gewiefter und erfahrener Advokat war. Dem alten Mann blieb sicher nicht
verborgen, wie nervös Richter auftrat.
»Ihr Schweigen bringt Sie nicht weiter«, sagte Richter
zu Bassetti. Seine Stimme klang müde und abgespannt. »Ihr Anwalt sollte Sie
beraten, dass ein Geständnis vor Gericht strafmildernd gewertet wird.«
»Man kann nur etwas gestehen, das man auch begangen
hat«, sagte der Anwalt. Er sprach mit hoher und brüchiger Stimme.
»Wie alt ist der Mann?«, fragte Frauke.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Ehlers. »Ich schätze,
er hat die siebzig locker überschritten. Deshalb sollte man aber nicht hoffen,
dass er senil ist. Carretta ist schon lange in Deutschland. Er ist mit allen
Wassern gewaschen.« Ehlers griff zum Telefonhörer, drückte auf einen Knopf und
hatte Kontakt zu Richter.
»Hier Ehlers. Frau Dobermann und ich werden Sie jetzt
ablösen«, sagte er.
Durch den einseitigen Spiegel sah man, wie der
Hauptkommissar ungläubig in Richtung der unsichtbaren Beamten im Nebenraum sah.
Zunächst schien es, als wolle er protestieren. Dann nickte er unmerklich und
sprach Madsack an. »Die Kollegen übernehmen.«
Madsack schien genauso überrascht, ließ es sich aber
kaum anmerken. Die beiden Beamten rafften ihre Unterlagen zusammen und gingen
zur Tür.
Auch Bassetti und sein Rechtsbeistand waren verblüfft.
Beide wechselten einen Blick. Bassetti sah Carretta fragend an, und der alte
Anwalt hob kurz die Augenbrauen.
Bassetti straffte sich. Er sah den beiden Beamten
nach, die den Verhörraum verließen. Mit dem Kopf wies der Italiener in Richtung
Tür. Dann sprach er lebhaft auf seinen Anwalt ein. Er bediente sich des
Italienischen, wurde aber abrupt durch Dottore Carretta unterbrochen. Der
Anwalt hatte nur wenige Worte
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