Mord an der Leine
Gesprächsrunde.
Fünf Minuten später las Madsack eine neu eingetroffene
Nachricht der Kriminaltechnik vor.
»Lars von Wedell wurde nicht mit Bassettis Waffe
erschossen. Das steht definitiv fest.«
Frauke setzte ihren Kaffeebecher ab, den der
schwergewichtige Hauptkommissar bei der Rückkehr vom Verhörraum in das
gemeinsam genutzte Büro besorgt hatte.
»Das hatte ich erwartet.«
Madsack schüttelte den Kopf. Dabei bewegte sich sein
Doppelkinn heftig.
»Ich verstehe die Zusammenhänge nicht. Auch wenn
Bassetti noch leugnet, sprechen viele Indizien dafür, dass er der Mörder
Manfredis ist. Ich glaube aber nicht, dass er aus eigenem Antrieb gehandelt
hat. Bassetti ist ein Handlanger. Er hat die Manipulation des Schinkens
gesteuert und das Rauschgift versteckt. Auch wenn uns noch der letzte Beweis
fehlt, gehe ich davon aus, dass er Manfredi erschlagen hat. Aber warum?«
Frauke pustete vorsichtig in ihren Kaffeebecher, bevor
sie versuchte, die Spur Lippenstift vom Rand abzuwischen. Madsack schien das
nicht entgangen zu sein. Diskret wandte er sich ab und kramte in seiner
Schreibtischschublade. Er tauchte mit einer Packung Geleebananen auf und hielt
sie Frauke hin.
»Dieser Versuchung kann ich selten widerstehen«, gestand
er.
Sie lehnte mit einem Lächeln dankend ab und
betrachtete Madsack einen Moment versonnen. Sie hatte noch keine Erklärung
dafür, warum der Hauptkommissar bei jeder Gelegenheit Süßes und
Kalorienhaltiges in sich hineinstopfte. Er war stets tadellos gepflegt, achtete
auf seine Kleidung und, das war besonders auffällig, hatte ein feines Gespür
für die Seelenlage seines Gegenübers. Madsack hatte nicht nur ein höfliches
Auftreten, sondern verstand es auch, durch sein Verhalten und die Art, wie er
ein Gespräch führte, dem anderen das Selbstwertgefühl zu belassen. Eine
Eigenschaft, dachte Frauke, die manchem Polizisten im Laufe vieler Dienstjahre
abhandengekommen ist. Wie komme ich jetzt darauf?, überlegte sie. Ach ja.
Natürlich hat er gesehen, dass ich den Lippenstift beseitigen wollte. Sein
Herumkramen nach den Süßigkeiten war nur ein Ablenkungsmanöver. Madsack war
sicher ein feiner Kerl, fast eine Art Teddybär. Dann gab sie sich einen Ruck.
Hier und jetzt war kein Platz für Sentimentalitäten.
»Ich stimme Ihrer Einschätzung in jedem Punkt zu. Die DNA -Spuren am Fleischhammer werden
Bassetti überführen.«
Madsack schenkte ihr ein Lächeln, als er sich in
seinem Sessel zurücklehnte. Er kniff die Augen zusammen, dass sie kaum noch zu
erkennen waren.
»Ich kenne Kollegen, die hätten jetzt formuliert: Ich wette ,
dass wir Bassetti überführen können.«
»Solche Sprüche werden Sie von mir nie hören. Unsere
Arbeit ist kein Wettgeschäft. Da gibt es nur Fakten.«
Madsack schlug mit der flachen Hand auf die
Schreibtischplatte.
»Fakten! Fakten! Fakten!«, sagte er dabei im Takt.
Jetzt mussten beide lachen, zumal der Hauptkommissar
jenem übergewichtigen Journalisten nicht unähnlich sah, der diesen Spruch
geprägt hatte.
»Das werde ich jetzt beherzigen«, sagte Frauke. »Was
haben wir übersehen?«
»Das immer noch flüchtige Ehepaar Tuchtenhagen?« In
Madsacks Stimme lag etwas Lauerndes.
Frauke nickte. »Das ist immer noch eine große
Unbekannte in unserer Gleichung. Alles deutet darauf hin, dass Thomas
Tuchtenhagen der Mörder von Wedells ist. Richter wird sich kaum geirrt haben.
Und warum ist Manuela Tuchtenhagen so eilig aus dem Büro Manfredis geflüchtet?
Sicher wird sie erschrocken gewesen sein, als sie ihren toten Chef entdeckte.
Aber das sollte kein Grund sein, sich vor der Polizei zu verstecken.«
Madsack nickte versonnen. Dann zeigte er mit der
Spitze seines Kugelschreibers auf Frauke. »Genau das ist es, was ich auch nicht
verstehe.«
»Ich werde jetzt das tun, was den ehemaligen
bayerischen Ministerpräsidenten ausgezeichnet hat.«
Madsack stöhnte theatralisch auf. »Sie wollen mir doch
nicht erklären, wie man in München vom Hauptbahnhof zum Flughafen kommt?«
»Nein.« Frauke lächelte entspannt. »Ich werde jetzt
die Akten studieren.«
Sie widmete sich in den nächsten Stunden der
Durchsicht der Akten, las wiederholt die Protokolle, studierte Landkarten,
machte sich Aufzeichnungen, verwarf sie wieder, notierte sich Stichworte,
knüllte manche der Notizen wieder zusammen und stopfte sie in ihre Handtasche.
Es tat ihr leid, als sie zwischendurch aufsah und gewahrte, dass Madsack sich
getroffen fühlte, weil sie ihm durch ihr Verhalten zeigte,
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