Mord an der Leine
dass sie ihm nicht
vertraute.
»Das ist meine Arbeitstechnik«, erklärte Frauke und
markierte von nun an die nicht mehr benötigten Zettel mit einem Kreuz, sodass
es ihrem Gegenüber nicht auffiel, dass sie weiterhin überflüssiges Papier
produzierte.
Madsack führte eine Reihe von Telefongesprächen und
widmete sich ansonsten seinem Rechner. Die Stunden vergingen, ohne dass sie
miteinander sprachen. Auch von Richter oder Putensenf sah man nichts an diesem
Nachmittag.
Gegen fünf Uhr verabschiedete sich Frauke von Madsack.
»Sie wollen schon Feierabend machen?«
Sie nickte.
»Sie wollen Hannover entdecken?«
Erneut nickte sie. Der zugängliche Kollege musste
nicht wissen, dass Frauke auch noch andere Dinge zu entdecken hoffte.
»Tschüss«, sagte sie und verließ ihren
Gastarbeitsplatz im Landeskriminalamt.
Es kam Frauke wie eine Ewigkeit vor, bis sie endlich
die Autobahnauffahrt Richtung Süden erreicht hatte. Auch hier rollte der
Verkehr nur mit mäßiger Geschwindigkeit dreispurig Richtung Hildesheim. Dies
waren Augenblicke, in denen ihr der Unterschied zwischen Hannover und dem
heimischen Flensburg bewusst wurde.
Heimisch? Wohl kaum, dachte sie voller Bitternis. Die
Region an der dänischen Grenze war ihr »Revier« gewesen, wie andere Polizisten
hinter ihrem Rücken spotteten. Es war ein beschwerlicher Weg gewesen bis zur
Leiterin des K1, der »Mordkommission«.
Harte Arbeit, Durchsetzungsvermögen und ein geballtes
Maß an Energie hatten ihr einen außergewöhnlichen Ruf eingebracht. Sie nahm es
hin, dass man ihren Familiennamen Dobermann verhunzte und ihre Bissigkeit
darauf zurückführte.
Sie war ehrgeizig und immer bemüht, ihre Ziele zu
erreichen. Beruflich hatte sie es geschafft. In Flensburg. Sie hatte sich –
nomen est omen – in einer immer noch von Männern dominierten Welt
durchgebissen.
Dabei war das Privatleben auf der Strecke geblieben.
Es gab zwar einen Herrn Dobermann. Aber der hatte sich im Laufe der
Ehejahre eher zu »Herrn Pinscher« zurückentwickelt. Das war vor zwanzig Jahren
anders gewesen.
Wer ständig unter Hochspannung in einem sehr
schwierigen beruflichen Umfeld engagiert ist, geht irgendwann an der Aufgabe
kaputt. Es sei denn, er versteht es, einen Ausgleich zu schaffen. Und nachdem
der Herr Dobermann nur noch als Schoßhund in der Sofaecke lag, hatte sie
sich als Frau emanzipiert und für das »Wohlfühlen« andere Männer ausgesucht.
Nichts Festes. Nur für den Augenblick. Natürlich hatte das nicht verborgen
bleiben können und ihr neben ihrem herben Auftreten zusätzlich einen
»schlechten Ruf« eingebracht. Doch darüber war sie erhaben.
Frauke verzog die Mundwinkel zu einem bitteren Lachen.
»Ha!«, entfuhr es ihr, und sie erschrak über diese Art der Selbstartikulation.
Der smarte und von sich überzeugte Dr. Starke hatte die Leitung der
Bezirkskriminalinspektion immer nur als Durchgangsposten und Sprungbrett für
die große Kieler Karriere angesehen, obwohl es unter seinen Mitarbeitern
niemanden gab, der nicht von der absoluten Unfähigkeit des Mannes überzeugt
war. Vielleicht hatte der schmuddelige Husumer Große Jäger recht, dachte
Frauke, der den Kriminaldirektor stets als »Scheiß-Starke« bezeichnete.
Und da jeder hoch oben im Norden von Fraukes großzügigem
Umgang mit Männern wusste, war es Dr. Starke leichtgefallen, Frauke der
sexuellen Belästigung eines Vorgesetzten zu bezichtigen. Sie hatte stets
Fehlentscheidungen ihres Vorgesetzten gedeckt und durch eigenes Engagement und
das ihrer Mitarbeiter auszugleichen gewusst, während der Kriminaldirektor es
immer wieder verstanden hatte, die Erfolge der Mordkommission in der
Außendarstellung als eigene zu verkaufen. Als er – wieder einmal – mit falschen
Angaben zu einem Fall an die Öffentlichkeit und die Medien herangetreten war
und daraus kritische Nachfragen erwachsen waren, hatte er das als Fehler seiner
Mitarbeiter herausgestellt. Dagegen hatte sich Frauke gewehrt. Dr. Starke hatte
auf seiner Weisungsbefugnis und ein in der Polizei nach seinen Vorstellungen
wohlgeordnetes disziplinarisches Verhältnis beharrt. Diesem »Maulkorberlass«
hatte Frauke zu widersprechen gedroht. So hatte der Kriminaldirektor
wahrheitswidrig behauptet, Frauke habe sich durch eindeutige sexuelle Angebote
ihm gegenüber Vorteile verschaffen wollen, und sie auf diese Weise als
unglaubwürdig dargestellt.
Danach waren genau drei Tage verstrichen, und sie
hatte den Dienst im Landeskriminalamt in Hannover
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