Mord an der Mauer
damaligen Postenkameraden, den tödlichen Schuss abgefeuert zu haben. Erich Schreiber reagiert bei seiner nächsten Vernehmung überrascht: »Ich weiß nicht, wie der Friedrich das so genau sagen kann. Ich weiß es nicht mehr.« Außer Zweifel immerhin steht, dass die beiden Grenzposten geschossen haben und sie gleichermaßen von den zuständigen Vorgesetzten belobigt und belohnt worden sind. Für die Staatsanwaltschaft ist das hinreichend, um sie wegen gemeinschaftlich begangenen vollendeten Totschlags anzuklagen. Da jedoch weder Flucht- noch Verdunklungsgefahr besteht und angesichts der milden Urteile in den bereits abgeschlossenen Mauerschützenprozessen auch keine besonders hohe Strafe zu erwarten ist, gibt es keinen Grund für einen Haftbefehl. Damit hat auch der Prozess keine hohe Priorität.
Die Umgebung des Tatorts hat sich derweil rapide verändert. Schon Ende 1990 ist die Mauer praktisch spurlos verschwunden. Auf der bald darauf provisorisch reparierten Zimmerstraße fahren wieder Autos und Touristenbusse, das dunkle Kreuz für Peter Fechter keine 200 Meter vom Checkpoint Charlie entfernt gehört zu den wichtigen Zielen für Berlin-Besucher. Auch weil hier immer zum Jahrestag des Mauerbaus eine Kranzniederlegung stattfindet; zusammen mit den weißen Kreuzen für die Maueropfer hinter dem Reichstag ist das Fechter-Denkmal mehr denn je die wichtigste Erinnerungsstätte für die Toten des SED-Regimes. Noch immer erscheint ein hochrangiger Vertreter des Senates zu der kurzen Feierstunde, und jetzt kommen auch Ruth Fechter und Gisela Geue. Ebenfalls stets dabei ist Friede Springer, die Witwe des 1985 verstorbenen Verlegers Axel Springer.
Doch das offizielle Gedenken findet auch Gegner. Anfang August 1995 berichten viele Zeitungen über die Recherchen des Filmemachers Heribert Schwan, der parallel zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft die mutmaßlichen Täter aufgespürt hat und sie mit vollem Namen nennt. Niemand hält es für einen Zufall, dass 36 Stunden vor der ersten Ausstrahlung seines Films Unbekannte das Fechter-Denkmal attackieren. In der Nacht zum 10. August 1995 sägen sie den Schaft des Holzkreuzes durch und hinterlassen auf dem Stumpf einen Stahlhelm, wie ihn NVA und DDR-Grenztruppen benutzt haben, sowie ein Schild: »Zum Gedenken an die gefallenen und vom BRD-Imperialismus verfolgten Grenzsoldaten und die Opfer des Mauerfalls. Ihre Opfer sind uns Verpflichtung im Kampf für eine unabhängige DDR.« Zwar repariert die Berliner Polizei das Denkmal umgehend und verstärkt es mit Stahlblechen, doch an der Empörung über die Schändung ändert das nichts. Für den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen »verhöhnt die schändliche Tat die Opfer der Diktatur und richtet sich zugleich gegen die Grundlagen unserer Demokratie«. Eine Gruppe namens »Brigade Rosa Luxemburg der neuen Volksarmee der DDR« bekennt sich später zu der Tat und »begründet« sie unter anderem mit dem Abriss des DDR-Denkmals für den Grenzposten Reinhold Huhn, den zwei Monate vor Fechters Tod ein West-Berliner Fluchthelfer in Notwehr erschossen hat.
Bei der Feierstunde zum 34. Jahrestag des Mauerbaus kommt es zum nächsten Eklat: Auch Vertreter der PDS legen einen Kranz nieder, was DDR-Opfer empört; sie schicken das Gebinde zurück an die Zentrale der SED-Nachfolgepartei. Ohnehin geht es den Sozialisten nicht um Gedenken an Fechter, wie ihr Parlamentarischer Geschäftsführer im Neuen Deutschland zugibt: »Wir halten an unserer Forderung fest, dass eine Gedenkstätte für die getöteten DDR-Grenzer eingerichtet werden muss.« Wenig überraschend liegt zum nächsten Jahrestag wieder ein PDS-Kranz am Fechter-Denkmal, und das Holzkreuz wird abermals beschädigt. Weil die Brache, auf der die Erinnerungsstätte steht, bebaut werden soll, ist ohnehin eine Neugestaltung notwendig. Eine schlichte Gedenktafel an einem der Neubauten wäre zu wenig, darüber herrscht Einigkeit. Also schreibt die Axel Springer AG einen Künstlerwettbewerb für die Neugestaltung aus und sagt zu, die Kosten zu übernehmen.
Wolf-Dieter Zupke setzt sich ebenfalls für ein würdiges Gedenken an Fechter ein. Seit Anfang der 90er-Jahre ist er politisch aktiv in der CDU; 1995 stellt er in der zuständigen Bezirksverordnetenversammlung von Hohenschönhausen den Antrag, eine Straße, eine Schule oder einen Jugendklub im Ortsteil Weißensee nach Peter Fechter zu benennen. Sein Antrag wird an den zuständigen Kulturausschuss verwiesen und dort
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