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Mord auf der Leviathan

Mord auf der Leviathan

Titel: Mord auf der Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Sanitätsdienstes sehr ähnelte. Ich war stolz auf meine Schlauheit, aber sie wurde mir letzten Endes zum Verhängnis. Im Todeskrampf riß mir der Unglückliche das Abzeichen der »Leviathan« vom Uniformrock. Ich bemerkte den Verlust erst, als ich wieder auf dem Schiff war. Zwar konnte ich mir ein Ersatzstück besorgen, aber die verhängnisvolle Spur war hinterlassen.
    Ich weiß nicht, wie ich aus dem Haus gekommen bin. Durch die Tür traute ich mich nicht, ich kletterte über den Gartenzaun. Am Ufer der Seine kam ich zu mir. In der einen Hand hatte ich die blutige Statuette, in der anderen die Pistole – ich weiß nicht, wozu ich die mitgenommen hatte. Schaudernd vor Abscheu, warf ich beides in die Seine. Das Tuch hatte ich in der Tasche des Uniformrocks unter dem weißen Kittel, es wärmte mir das Herz.
    Am nächsten Tag erfuhr ich aus der Zeitung, daß ich zum Mörder nicht nur von Lord Littleby, sondern auch von neun weiteren Menschen geworden war. Meine Empfindungen hierzu lasse ich weg.
     
    »Gut so.« Der Kommissar nickte. »Es ist schon sentimental genug. Er redet wie vor Geschworenen. So als wie, urteilen Sie selbst, meine Herren, hätte ich denn anders handeln können? Sie an meiner Stelle hätten das gleiche gemacht. Pfui!« Und er las weiter vor.
     
    Das Tuch brachte mich um den Verstand. Der Zaubervogel mit dem leeren Auge hatte eine seltsame Macht über mich. Ich
handelte gleichsam nicht aus eigenem Antrieb, sondern einer leisen Stimme gehorchend, die mich führte und leitete.
     
    »Na, da wirft er wohl eine Angel aus in Richtung psychischer Unzurechnungsfähigkeit.« Bulldogge lachte verstehend. »Das kennen wir, das haben wir oft gehört.«
     
    Als wir durch den Suezkanal fuhren, verschwand das Tuch aus meinem Sekretär. Ich fühlte mich der Willkür des Schicksals ausgeliefert. Mir kam überhaupt nicht in den Sinn, das Tuch könnte gestohlen sein. Zu dem Zeitpunkt war ich schon dermaßen in der Gewalt eines mystischen Gefühls, daß mir das Tuch wie ein lebendiges beseeltes Wesen vorkam. Es hatte mich für unwürdig befunden und mich verlassen. Ich war untröstlich, und wenn ich nicht Hand an mich legte, so nur in der Hoffnung, das Tuch werde sich meiner erbarmen und zu mir zurückkehren. Es kostete mich gewaltige Mühe, Ihnen und meinen Kollegen meine Verzweiflung zu verbergen.
    Und dann, am Tag vor der Ankunft in Aden, geschah das Wunder! Ich lief in die Kabine von Madame Kleber, nachdem ich ihren Schreckensschrei gehört hatte, und sah den plötzlich aufgetauchten Neger, der mein verschwundenes Tuch um den Hals trug. Jetzt ist mir klar, daß der Wilde ein paar Tage zuvor in meiner Kabine gewesen war und das bunte Tuch einfach mitgenommen hatte, aber damals spürte ich ein mit nichts zu vergleichendes heiliges Entsetzen. Der schwarze Engel der Finsternis schien aus der Hölle gekommen, um mir meinen Schatz zurückzugeben!
    In dem sich entspinnenden Kampf tötete ich den Dunkelhäutigen, dann nutzte ich den halb ohnmächtigen Zustand von Madame Kleber, um dem Toten das Tuch unbemerkt abzunehmen. Seither habe ich es stets auf der Brust getragen und mich keinen Moment davon getrennt.
    Den Mord an Professor Sweetchild habe ich kaltblütig verübt, mit einer Berechnung, die mich selbst begeisterte. Meine übernatürliche Voraussicht und Reaktionsschnelligkeit führe ich auf den magischen Einfluß des Tuchs zurück. Aus den ersten verworrenen Worten Sweetchilds ersah ich, daß er sich zum Geheimnis des Tuchs vorgearbeitet hatte und auf die Spur des Radscha-Sohnes gestoßen war – auf meine Spur. Ich mußte den Professor zum Schweigen bringen, und ich tat es. Das Tuch war mit mir zufrieden, das spürte ich daran, daß das Seidengewebe sich erwärmte und mein geschundenes Herz liebkoste.
    Aber die Beseitigung Sweetchilds gab mir nur einen Aufschub. Sie, Kommissar, hatten mich schon von allen Seiten umstellt. Bis zur Ankunft in Kalkutta würden Sie und insbesondere Ihr scharfsinniger Assistent Fandorin …
     
    Coche brummte unzufrieden und warf einen Seitenblick auf den Russen.
    »Gratuliere, Monsieur. Ein Mörder würdigt Sie eines Kompliments. Immerhin danke, daß er Sie zu meinem Assistenten ernannt hat und nicht mich zu dem Ihren.«
    Es läßt sich denken, mit welchem Vergnügen der Kommissar diese Zeile gestrichen hätte, um sie seinen Pariser Vorgesetzten vorzuenthalten. Aber aus einem Lied läßt sich kein Wort hinauswerfen. Renate sah den Russen an. Der zupfte an einer Schnurrbartspitze und

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