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Mord auf der Leviathan

Mord auf der Leviathan

Titel: Mord auf der Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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bat den Kommissar fortzufahren.
     
    … Ihr scharfsinniger Assistent Fandorin ganz sicher einen Verdächtigen nach dem anderen ausgeschlossen haben, und dann wäre nur noch ich übriggeblieben. Ein einziges Telegramm an die Einwanderungsbehörde des Innenministeriums hätte genügt, um herauszufinden, welchen Namen der Sohn des Radschas Bagdassar jetzt trägt. Und aus den Registern der Ecole
Maritime geht hervor, daß ich unter dem einen Namen dort eingetreten und unter einem anderen ausgeschieden bin.
    Und da begriff ich, daß das leere Auge des Paradiesvogels nicht der Weg zu irdischer Glückseligkeit ist, sondern der Weg ins ewige NICHTS. Ich faßte den Entschluß, in den Abgrund zu gehen, aber nicht als jämmerlicher Verlierer, sondern als großer Radscha. Meine edlen Vorfahren sind niemals allein gestorben. Ihre Diener, Ehefrauen und Beischläferinnen folgten ihnen auf den Scheiterhaufen. Ich habe nicht als Herrscher gelebt, aber dafür werde ich sterben, wie es sich für einen wahren Herrscher ziemt – so mein Entschluß. Und auf meine letzte Reise nehme ich nicht Sklaven und Dienerinnen mit, sondern die Blüte der europäischen Gesellschaft. Mein Leichenwagen wird ein riesiges Schiff sein, ein Wunderwerk des europäischen technischen Fortschritts! Die Größe dieses Plans überwältigte mich. Das ist ja noch grandioser als der Besitz eines unermeßlichen Reichtums!
     
    »Da lügt er«, sagte Coche heftig. »Uns wollte er ersäufen, aber für sich hatte er ein Boot bereitgehalten.«
    Er nahm das letzte Blatt, das halbe.
     
    Der Trick, den ich gegen Kapitän Cliff anwandte, war infam, das gebe ich zu. Zu meiner teilweisen Rechtfertigung kann ich sagen, daß ich einen so betrüblichen Ausgang nicht erwartet habe. Ich empfinde für Cliff aufrichtige Hochachtung. Ich wollte das Schiff in meine Gewalt bringen, und ich wollte dem großartigen Alten das Leben retten. Ich dachte: Er wird sich eine Zeitlang um seine Tochter sorgen, und dann zeigt sich, daß sie gesund und munter ist. Doch leider, das böse Verhängnis verfolgt mich in allem. Konnte ich vorhersehen, daß den Kapitän der Schlag trifft? Das verfluchte Tuch, es ist an allem schuld!
    An dem Tag, an dem die »Leviathan« aus dem Hafen von Bombay auslief, habe ich das bunte Seidendreieck verbrannt. Ich habe die Brücken hinter mir abgebrochen.
     
    »Verbrannt?« rief Clarissa Stomp. »Das Tuch existiert nicht mehr?«
    Renate saugte sich mit dem Blick an Bulldogge fest. Der zuckte gleichmütig die Achseln und sagte: »Gott sei Dank existiert es nicht mehr. Zum Teufel mit den Schätzen, das sage ich Ihnen, meine Damen und Herren.«
    Was für ein Seneca hatte sich da gefunden! Renate rieb sich konzentriert das Kinn.
     
    Es fällt Ihnen schwer, das zu glauben? Nun, als Beweis meiner Aufrichtigkeit gebe ich das Geheimnis des Tuchs preis. Dieses zu wahren ist nicht mehr notwendig.
     
    Der Kommissar unterbrach sich und sah den Russen pfiffig an.
    »Wenn ich mich recht entsinne, Monsieur, haben Sie in der letzten Nacht geprahlt, Sie hätten dieses Rätsel gelöst. Sagen Sie uns Ihre Lösung, dann werden wir prüfen, ob Sie so scharfsinnig sind, wie der Tote glaubte.«
    Fandorin war kein bißchen verlegen.
    »Es ist z-ziemlich einfach«, sagte er lässig.
    Wie er sich aufspielt, dachte Renate, aber er ist gut. Ob er es wirklich herausgefunden hat?
    »Also, was wissen wir über das Tuch? Es ist d-dreieckig, wobei die eine Seite glatt ist und die anderen beiden etwas gewellt sind. Erstens. Abgebildet ist ein Vogel, der statt des Auges ein L-loch hat. Zweitens. Sie werden sich an die Beschreibung des Brahmapurer Palastes erinnern, insbesondere des Obergeschosses: die Berge am Horizont, die sich in den Fresken zu spiegeln scheinen. D-drittens.«
    »Ja, wir erinnern uns, na und?« fragte der Psychopath.
    »Aber Sir Reginald«, sagte der Russe mit gespielter Verwunderung. »Wir beide haben doch die Z-zeichnung von Sweetchild gesehen! Darin war alles, was zur Enträtselung gebraucht wird: das dreieckige Tuch, die Zickzacklinie, das Wort ›Palast‹.«
    Er zog ein Taschentuch heraus und faltete es in der Diagonale, so daß ein Dreieck entstand.
    »Das Tuch ist der Sch-schlüssel, mit dessen Hilfe man das Versteck des Schatzes findet. Die Form des Tuches entspricht den Konturen eines der Berge, die auf den Fresken dargestellt sind. Man muß nur die obere Ecke des T-tuches an den Gipfel dieses Berges anlegen. So.« Er legte das Dreieck auf den Tisch und umfuhr es mit

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