Mord auf Frauenchiemsee - Oberbayern Krimi
Teufel.
Aber Stefan ahnte, wenn er das laut aussprach, könnte ihn der kleine Springteufel, der sein Vorgesetzter war, ohne große Mühen aus dem Verkehr ziehen. Vielleicht sollte Wendlsteiner in Wahrheit dafür sorgen, dass alles Unerfreuliche innerhalb der Klostermauern blieb.
Stefan war in einem der heißesten Sommer seit Jahrzehnten am Chiemsee gewesen, kaum zu glauben, dass das nur vier Monate her war. Inzwischen wanderte gerade eine Eisschicht über den See zu den Inseln.
Leonie Haberls Familie lebte in Chieming, Stefan ließ sich von Schwester Jadwiga lotsen. Eine andere Nonne wäre ihm allerdings angenehmer gewesen. Schwester Bärtchen hatte er die Priorin getauft, und als er kurz zu ihr hinüberspähte, musste er unpassenderweise schmunzeln. Gerade bewegte sich der leichte Oberlippenbart, um ihm eine winzige Geschichtslektion zu erteilen.
Chieming, am Ostufer des Chiemsees gelegen, war nach einem Gaugrafen namens Chimo benannt. Der Pfeffersee am Ortseingang war als Toteisloch entstanden, sich nicht mehr bewegendes Gletschereis.
Auf dem kleinen See herrschte allerdings wilde Bewegung, er war zugefroren, und zwei Jugendeishockey-Mannschaften jagten mit ihren Schlägern übers Eis.
Das wäre mir jetzt auch lieber, dachte er.
Sie fuhren durch eine lang gezogene Rechtskurve, und die Kirche blickte ihnen entgegen. Die Priorin deutete auf die gegenüberliegende Seitenstraße.
Er sah, dass ihre Hand leicht zitterte. Ihre Nerven waren angespannt, die Gesichtszüge glichen einer starren Maske.
Stefan Sanders atmete tief durch. Todesnachrichten zu überbringen war eine Sache, aber das hier war kein einfacher Tod.
Obgleich es den einfachen Tod seiner Ansicht nach nicht gab.
Leonie Haberls Vater, ein schlanker Mann Ende vierzig, lief wie ein verwundetes Tier hin und her. Man bekam den Eindruck, wenn er innehalten würde, bräche er auf der Stelle zusammen. Er hatte sie in einen großen Raum geführt, der vielleicht ein Esszimmer war, doch mehr wie ein Ausstellungsraum wirkte.
Stefan lief eine Gänsehaut über den Rücken, weil ihn von überall her anklagende Gesichter anstarrten und ihn der Staub all der Heiligen und Seligen in der Nase kitzelte.
Heiligenbilder, Fotos von Wallfahrtsorten, Stickereien, Sprüche – er würde hier keinen Bissen hinunterbringen.
Über die Familie Haberl hatte sich Stefan vorher informiert, soweit ihm das in der Kürze der Zeit gelungen war. Patrick Haberl war Inhaber einer ganzen Kette – wenn man das so nennen konnte – von Andenken- und Antiquitätenläden, geografisch betrachtet reichte sie von Prien bis Freilassing. Er warb gerade mit einer Besonderheit: Bruchstücke vom antiken Sargdeckel der seligen Irmengard. Stefan war dieser beliebten Schutzheiligen schon in der Abtei begegnet. Irmengard war eine ehemalige Äbtissin des Klosters Frauenwörth. Genauer, sie war seine erste Äbtissin gewesen. Irgendwie kamen ihm diese Bruchstücke so vor wie die angeblichen Holzsplitter vom Kreuz Christi.
Viel mehr war nicht zu finden gewesen, Petra Haberl wurde nur am Rande erwähnt. Sie engagierte sich in der Ortsgruppe des Bund Naturschutz.
Schwester Jadwiga hatte er nicht fragen wollen. Ein andermal. Die Priorin machte den Eindruck, als wäre sie am liebsten irgendwohin verschwunden.
Stefan irritierte das Gerenne des Hausherrn, er konnte sich nicht mit jemandem unterhalten, der einem nie das Gesicht zuwandte.
»Würden Sie bitte damit aufhören?«, bat er Patrick Haberl. Und musste sich sagen lassen: »Sie sind zu jung, haben keine Kinder, haben keine Ahnung.«
Er würde sich nicht provozieren lassen, denn dann hätte der Mann recht, und Stefan wäre zu jung.
»Er konnte sie nicht haben, also soll auch kein anderer sie haben«, sagte Haberl. Stefan war diese Aussage nicht fremd, er hatte sie schon einige Male zuvor gehört. Eifersucht als Motiv. Dieser andere war in dem Fall kein Mensch aus Fleisch und Blut.
Präzision wäre Stefan lieber gewesen, aber Schwester Jadwiga hatte ihn auf der Fahrt nach Chieming ins Bild gesetzt, sodass er sich denken konnte, um wen es ging. Ein bloßer Einwurf konnte ihm trotzdem nicht genügen, und er fragte Patrick Haberl, wen konkret er verdächtige und aus welchem Grund.
Stefan bekam noch einmal zu hören, was ihm auch schon die Priorin erzählt hatte: Leonies Exfreund Andreas Bacher.
»Er konnte es nicht ertragen, dass sie einem anderen gehören soll.«
»Patrick, wir sind nicht das Eigentum von jemandem. Wir haben uns für den einen
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