Mord hat keine Tränen: Ein Fall für Jessica Campbell (German Edition)
Sie auch eine Tasse?«
»Danke, das wäre sehr nett.«
Einige Minuten später saßen sie in der Küche am Tisch, und Tansy schenkte Tee aus einer angeschlagenen braun glasierten Steingutkanne in zwei Tassen mit nicht zueinander passenden Untertassen.
»Nehmen Sie Zucker? Falls ja, ich hab noch keinen gefunden, aber ich denke, es gibt welchen ... irgendwo.« Sie blickte auf die zusammengewürfelte Reihe von Schränken und Oberschränken.
»Ich nehme keinen Zucker, danke.«
Sie war hübscher als zuerst gedacht - jetzt, nachdem er Gelegenheit gehabt hatte, sie eingehender zu studieren, und sie war entspannter als zuerst angenommen. Der scharfe Gesichtsausdruck rührte wahrscheinlich von der Anspannung der überraschenden Begegnung her und vielleicht auch von den kühlen Temperaturen. Sie hatte die Hände um die Tasse gelegt, wie um sich daran zu wärmen. Es waren kleine Hände, mit hübschen, gepflegten Nägeln. Sie sahen eher aus wie Kinderhände als wie die Hände einer jungen Erwachsenen. Doch er wusste, dass sie neunzehn war - oder fast neunzehn. Jess hatte ihm das verraten.
»Waren Sie oben?«, fragte er.
»Noch nicht. Unten ist alles in Ordnung. Es ist das reinste Chaos, aber so sieht es immer aus. Onkel Monty wohnt so.«
»Es muss früher einmal ein prachtvolles Haus gewesen sein«, sagte Carter in dem Bemühen, die Unterhaltung in Gang zu halten.
Ihre Reaktion war unerwartet heftig. »Es ist immer noch ein wundervolles Haus! Es ist wunderschön! Es hat eine Reihe von Reparaturen nötig und eine Renovierung, und es muss einmal ordentlich von oben bis unten geputzt werden, aber es ist ein wundervolles Haus! Ich habe es immer geliebt! Onkel Monty liebt es ebenfalls, und ich verstehe nur zu gut, wie er sich im Augenblick fühlt! Mum hat keine Ahnung. Sie glaubt, Balaclava House ist eine Ruine. Aber dieses Haus hat eine richtige Geschichte!«
Aha. Es gibt Spannungen zwischen Mutter und Tochter, dachte Carter. Jess Campbell hatte es aus erster Hand erlebt.
»Sind Sie als Kind häufig hier gewesen?«
Sie nickte. Dampf stieg aus der heißen Tasse vor ihrer Nase auf. Ihre Augen verloren jenen kampflustigen Glanz und verschleierten sich. »Oh ja, immer in den Ferien. Damals war Tante Penny noch am Leben, und Onkel Monty war nicht annähernd so klapprig wie heute. Tante Penny hatte ein Auge auf ihn. Aber am Ende war es selbst ihr zu viel, und sie ging weg. Mum mochte Tante Penny und war wütend auf Onkel Monty. Es gab einen furchtbaren Streit, und damit waren unsere Besuche auf Balaclava House für lange Zeit vorbei. Onkel Monty zog sich danach in sich zurück. Er vermisste Tante Penny und wollte sie zurück, doch er wusste, dass sie nie wieder zurückkehren würde.« Tansys Stimme klang traurig.
Eine verlegene Pause dehnte sich aus.
Hat Sophie mich verlassen, weil das Zusammenleben mit mir so unmöglich war?, überlegte Carter. Ich war sicher nicht der beste aller Ehemänner, und meine Arbeit hat mich zu sehr in Beschlag genommen. Irgendwie kam sie scheinbar immer an erster Stelle. Und irgendwann lernte Sophie jemand anderen kennen. Schon eigenartig. Hätte Penny Bickerstaffe einen anderen Mann kennengelernt, hätte Monty nicht für den Rest seines Lebens geglaubt, es wäre alles seine Schuld gewesen. Aber so war es nicht, und Monty musste mit dem Gedanken leben, dass er die Frau verjagt hatte, die er liebte.
Carter war froh, als Tansy, die ebenfalls ihren eigenen Gedanken nachgehangen hatte, endlich die Stille durchbrach.
»Als Tante Penny starb, versuchte Mum, Onkel Monty dazu zu bewegen, dass er zur Beerdigung kam. Aber nein. Er wollte nicht. Ich glaube nicht, dass Mum sonderlich taktvoll gewesen ist. Sie hat ein ausgesprochenes Talent, Onkel Monty gegen den Strich zu bürsten. Er wird dann immer sehr ungehalten und grob. Es ist allerdings auch nicht besonders schwierig«, fügte Tansy hinzu - wenig loyal, dafür wahrscheinlich wahrheitsgemäß. »Es kam, wie es kommen musste. Die beiden hatten einen weiteren furchtbaren Streit.«
»Sicher war das Haus in einem viel besseren Zustand, als Mrs. Bickerstaffe noch hier gewohnt hat«, bemerkte Carter.
Tansy schürzte die Lippen.
»Um ehrlich zu sein, nein. Der Zustand war nicht viel besser, nicht einmal damals. Natürlich besser als das hier!« Sie deutete mit einer Handbewegung auf das sie umgebende Chaos. »Aber es war viel zu groß für die beiden, und ich denke, Tante Penny verlor darüber den Mut. Sie hatte nur eine einheimische Frau als Hilfe, die
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