Mord im Atrium
sondern habe das Haus durch den Lieferanteneingang verlassen. Aber ich wusste, dass Scaevas Kopf dort war. Ganna hatte ihn gesehen. Sie kam zu mir gerannt und hat es mir erzählt.«
Das passte nicht zu dem, was Ganna mir aufgetischt hatte. Ich fragte mich, ob Ganna auf irgendeine Art, die ich noch herausfinden musste, die Priesterin zu schützen versuchte.
»Also erzählen Sie uns«, Petronius beugte sich mit seinem Vertrauen-Sie-mir-Blick vor, »was genau an diesem Nachmittag passierte. Fangen wir an mit Ihrer … Dienstbotin, ist sie das?«
»Akolythin«, sagte ich kurz angebunden.
»Ach, wie nett! Wir fangen also damit an, warum Ihre Akolythin durch das Atrium kam, ja?«
Widerspruchslos antwortete ihm Veleda: »Ich hatte ein paar Briefe, die ich nicht lesen konnte.« Das war gut. Welche verrückten romantischen Versprechungen Justinus auch gemacht hatte, Veleda war nicht fähig gewesen, sie zu lesen. Hervorragend. »Zuerst wollte ich sie nicht lesen …« Noch besser. Das war zu wichtig zum Punktesammeln, aber Petro konnte sich nicht verkneifen, mir ein fieses Grinsen über die Art zuzuwerfen, wie sie sich ihm anvertraute. »Ich wurde so unglücklich, dass ich meine Meinung änderte. Der Einzige, dem wir vertrauen konnten, war der Mann, der mir die Briefe überbracht hatte – Scaeva. Ich wurde ständig überwacht von dieser grässlichen alten Frau, die Drusilla Gratiana bediente.«
»Phryne.« Ich bekam keine Punkte dafür, kundig zu klingen.
»Phryne, ja. Phryne hatte von Anfang an deutlich gemacht, dass sie mich hasste. Sie überwachte jeden meiner Schritte. Daher wollte sich Ganna bei Scaeva erkundigen, was in den Briefen stand.«
»Was ihr nie gelungen ist?«, fragte Petro. Veleda schüttelte den Kopf.
Jetzt ging die Geschichte so, dass Ganna es an dem Nachmittag nur bis zum Atrium geschafft hatte. Sie sah den Kopf, rannte dann zurück – mit den Briefen – und berichtete Veleda von dem Mord. Ihnen war sofort klar, dass man ihn der Priesterin anhängen würde, und da keine Zeit für weitere Gespräche blieb, floh Veleda mit dem Wäschekarren.
»Und warum ist die junge Dame nicht mit Ihnen geflohen?«, fragte Petro mit etwas, das er vielleicht für ein gewinnendes Lächeln hielt. Veledas Augen verdüsterten sich. Ich nahm an, sie fühlte sich bevormundet.
»Wir dachten, es würde eine Untersuchung geben.«
»Die gibt es auch. Didius Falco führt sie durch.«
»Nein, wir dachten, es würde eine Untersuchung im Haus geben, direkt nach dem Mord. Ganna sagt, es hätte keine stattgefunden.«
Ich unterbrach ruhig und erklärte, dass sich Quadrumatus Labeo geweigert habe, vor Ablauf der neun formellen Trauertage für Scaeva Ermittler auf sein Grundstück zu lassen.
»Was verbirgt er?«, fragte mich Petronius.
»Er hat es getan, um ›den verstörten Angehörigen weitere Aufregung zu ersparen‹.«
»Na toll! Wollten diese Angehörigen denn nicht wissen, wer ihren Jungen abgemurkst hat?«
»Du sagst es!«
»Ganna verstand nicht, was Quadrumatus tat.« Veleda zeigte keinerlei Regung bei unserem gereizten Austausch. »Sie gab die Hoffnung auf Gerechtigkeit auf und floh ebenfalls. Aber anfangs hofften wir, sie könnte mich entlasten. Ganna blieb zurück, um dem Ermittlungsbeamten zu sagen, was sie gesehen hatte.«
Durch lange Erfahrung gelang es Petronius Longus, nicht verblüfft zu klingen. »Und was war das?«
Veleda, genauso intelligent, genoss eindeutig die Spannung, die sie erzeugt hatte. »Ganna hatte gesehen, wie jemand den Kopf in das Becken legte.«
Natürlich wollten wir wissen, wer das war. Laut Veleda hatte Ganna es ihr nie erzählt.
Petronius sah darin kein Problem. Wir würden losgehen und Ganna bitten, uns den Täter zu nennen. Das war, bevor ich ihm erklärte, dass Ganna jetzt zur Sicherheit im Haus der Vestalinnen untergebracht war, zu dem Männer keinen Zutritt hatten.
»Du warst da schon drin, Falco!«
»Erstens bin ich, wie du mir dauernd sagst, ein Idiot. Zweitens bin ich dafür beinahe hingerichtet worden. Wenn jemand in das Haus der Vestalinnen einbricht, lieber Lucius, dann bist du dran.« Er lehnte das Angebot ab. »Was ist denn mit den Briefen von Justinus passiert?«, fragte ich Veleda.
»Die habe ich in der Eile zurückgelassen. Vielleicht hat Ganna sie noch.«
Wir hätten Veleda vermutlich weiterer intensiver Befragung unterzogen, doch in diesem Moment kam Helena herein. Unsere Töchter hingen an ihren Röcken und rissen am Stoff, während sie der
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