Mord im Atrium
junge Frau dringend jemanden, der sie neckte. Sie musste auch selber austeilen lernen. Wenn sie Justinus hätte glauben lassen, ihr wäre es völlig egal, dann wäre er schon vor Wochen nach Hause geeilt. Doch nicht alle Frauen waren wie Helena Justina; das war der Grund, warum meine Wahl unvermeidlich auf Helena gefallen war. Sie überraschte mich immer noch. Wohingegen diese junge Frau hier ihre feurigen Momente hatte und im Allgemeinen als temperamentvoll galt, doch für mich würde sie immer geradlinig und vorhersehbar bleiben. Ich wusste zum Beispiel, was sie von meinen Fähigkeiten hielt. »Du wirst den Fall nie lösen, stimmt’s?«
»Sei doch nicht so pessimistisch, Claudia. Die Ereignisse schreiten rasch voran. Hast du Quintus gesehen?«
»Mir ist es egal, wenn ich ihn nie wiedersehe.«
»Das ist dir nicht egal, und du musst dich mit ihm in Verbindung setzen, Claudia. Ihr müsst miteinander reden.«
Claudia fummelte an ihren Armreifen herum. »Er weiß ja, wo er mich findet. Er könnte nach Hause kommen. Er könnte wenigstens seinen Sohn besuchen.«
»Im Moment kann er wirklich nicht heimkommen, Claudia. Er sorgt aufopfernd für einen jungen Soldaten, der schwer verwundet ist. Quintus und ich haben Lentullus sehr gern, und er ist dem Tode gefährlich nahe. Er hat das Leben deines Mannes gerettet, als er diese Verwundungen bekam. Außerdem habe ich Quintus befohlen, sich nicht von der Stelle zu rühren. Das musste ich tun. Ich versuche ihn von Anacrites’ Fängen fernzuhalten.«
Claudia blickte zu Boden. »Der Mann hat mich aufgesucht.«
Er war also aus Nemi zurück. »Ich hoffe, du hast ihm nichts erzählt.«
Claudias Gesicht bewölkte sich. Sie hatte geredet. Verdammt. Wenigstens hatte sie ein schlechtes Gewissen. Das bedeutete, ich konnte sie unter Druck setzen.
»Er ist ein Drecksack. Du Arme. War es schlimm?«
»O Marcus, ich habe ihm erzählt, dass sich Quintus bei den Vigiles versteckt. War das sehr falsch von mir?« Nur sehr, sehr dumm.
Ich sog an meinen Zähnen. »Na ja, was auch immer dabei herauskommt, Quintus wird dir bestimmt vergeben.« Ich ließ es zweifelnd klingen. »Angesichts dessen, wie sehr er dich liebt, Claudia …«
Claudia Rufina brach in Tränen aus. Hervorragend! Oder, wie mich Helena später abkanzelte, als ich ihr davon erzählte: »Du Schwein, Falco!«
LX
I ch war immer noch bemüht, Claudia zu entkommen, als Julia Justa nach Hause gebracht wurde. Die Träger schleppten den klapprigen Camillus-Tragestuhl in die Eingangshalle, und Julia stieg steif aus, mit müdem Gesicht, als ich gerade zu Claudia sagte: »Manchen Männern fällt es schwer, ihre wahren Gefühle zu zeigen, Claudia.«
Julia Justa legte ihren Mantel ab und sah mich aus schmalen Augen an. Sie war genauso scharfsinnig wie Helena und musste sofort erkannt haben, dass ich Claudias Gefühle bearbeitete. Meine Verschlagenheit überraschte sie nicht. Die edle Julia hatte mich stets für unzuverlässig gehalten.
Wir gingen alle in einen mit Fresken ausgemalten Salon. Dann folgte eine Verzögerung, während die Sklaven – die sich bereits für das heutige Abendessen in saloppe Stimmung versetzten – überredet werden mussten, ihrer Herrin zur Stärkung einen vormittäglichen Imbiss zuzubereiten. Julia spielte nur damit, und so machte ich mich darüber her. Niemand sollte ein großes Theater machen, bedient zu werden, und dann das Geforderte nicht nutzen. Sklaven nehmen das übel, und wer kann es ihnen verdenken? Julia, die eine strenge Frau mit tadellosen Manieren war, nickte sogar zustimmend, während ich mampfte.
Die Neuigkeiten waren interessant. »Ich habe mich mit Ganna getroffen, wie du verlangt hast, Marcus. Sie wird gut versorgt und ist einigermaßen zufrieden. Die Vestalinnen nutzen die Gelegenheit, ihr römische Lebensart beizubringen.« Das würde sich von dem Rom, das Ganna in Mutters Haus kennengelernt hatte, gewaltig unterscheiden. »Leider«, ich musste einräumen, dass meine Schwiegermutter einen Sinn für Humor hatte, »haben sie ihr das Lesen beigebracht, und ich vermute, sie hat die Briefe gelesen, die mein törichter Sohn an die Priesterin geschrieben hat.« Das erzählte mir Julia hastig in halblautem Ton, als Claudia kurz ins Kinderzimmer verschwand.
»Hat Ganna die Briefe?«
»Jetzt nicht mehr. Ich habe sie davon überzeugt, dass es am besten für alle wäre, wenn wir sie vernichten. Mein erster Gedanke war, sie mitzunehmen, aber die Vestalinnen sind sehr besorgt um die
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