Mord im Atrium
aufgewachsen als Haussklave in einem Haus voll von strahlendem Luxus, dessen Besitzer offensichtlich zivilisierte Menschen waren und in dem er vermutlich nie mit mehr als kränkendem Sarkasmus bestraft wurde, war das seine erste Begegnung mit Tod durch rohe Gewalt. Als er dann auch noch in eine der Pfützen des immer noch warmen, sich ausbreitenden Blutes trat, hatte ihm das vor Entsetzen den Verstand geraubt.
Er war der Flötenspieler. Seine Doppelflöte lag auf einem Bord in seiner Zelle. Er hatte Gratianus Scaeva mit Musik unterhalten sollen, während der junge Herr las. Ich schätzte, er würde nie wieder spielen.
»Hat Quadrumatus Labeo einen Leibarzt? Jemand sollte sich um diesen Jungen kümmern.«
Der Haushofmeister warf mir einen sonderbaren Blick zu, sagte aber, er werde es erwähnen.
Als Nächstes wurde ich zu Drusilla Gratiana geführt.
Die edle Drusilla war eine typische Senatorengattin – eine gewöhnliche Frau in den Vierzigern, die sich, da sie von sechzehn Generationen senatorischer Spießer abstammte, für außergewöhnlich hielt. Das Einzige, was sie von einem Fischweib unterschied, das frisch gefangene Meeräschen aufschlitzt, war ihr Ausgabenbudget.
Drusilla Gratiana hatte pergamentartige Haut, einen misstrauischen Gesichtsausdruck, trug eine fünfundzwanzigtausend Sesterzen teure Perlenkette, geschenkt von Quadrumatus, hatte vier Kinder, von denen eine Tochter letzten Monat verlobt worden war, einen Trupp zahmer Zwerge, ein Getreidelagerhaus, das sie von ihrem Onkel geerbt hatte, und ein Alkoholproblem. Einiges davon hatte ich dem Haushofmeister aus der Nase gezogen, der Rest war offensichtlich. Sie war in purpurrote Seide gehüllt, die zwei bleiche Dienstmädchen immer wieder ordneten, während eine siebzigjährige Garderobenfrau sie überwachte. Meine Mutter hätte sich prompt mit diesem schwarzgekleideten alten Weib angefreundet. Ihre Verachtung für mich war nicht zu übersehen. Ich konnte mir gut vorstellen, dass diese bösartige alte Hexe auch Veleda nicht als Zierde für den Haushalt betrachtet hatte.
»Wir erwarten Cleander«, bellte das verschrumpelte Wesen mit funkelnden Augen. »Sie müssen sich beeilen!«
Ich beachtete sie nicht, sondern wandte mich direkt an ihre Herrin, mit kühler, ruhiger Stimme, die dazu gedacht war, mich als Mann mit kultiviertem Benehmen auszuweisen. Das irritierte sämtliche Frauen in Raum. »Drusilla Gratiana, ich drücke Ihnen mein Beileid zu dem schrecklichen Schicksal Ihres Bruders aus. Ich bedaure alle Störungen, die ich in Ihrem Haushalt verursacht habe. Aber ich muss genau feststellen, was passiert ist, damit ich den Täter der Gerechtigkeit zuführen kann.«
»Wie Phryne schon sagte, dann beeilen Sie sich!« Herrin und Dienstbotin arbeiteten im Gespann. Was ich doch immer für ein Glück hatte.
»Wer ist Cleander?«
»Der Arzt meiner Herrin.« Das wurde mir von der schwarzgewandeten Phryne mitgeteilt, natürlich wütend.
Die edle Dame und ihre Freigelassene waren durch dreißigjährige Komplizenschaft verbunden. Phryne hatte Drusilla Gratiana als Braut eingekleidet. Sie kannte all ihre Geheimnisse, nicht zuletzt, wo sie die Weinflasche versteckte. Phryne ließ sich nicht aus dem Weg schubsen. Man verdankte ihr wohl zu viel. Sie wollte Drusilla unter Kontrolle halten und würde nicht verschwinden.
Ich räusperte mich. »Dann werde ich versuchen, es kurz zu machen. Standen Sie Ihrem Bruder nahe?«
»Natürlich.« Abgesehen von der Tatsache, dass Drusilla ziemlich träumerisch sprach, mit der belegten Stimme einer Säuferin, verriet mir das nichts. Gratianus Scaeva konnte bei seiner Schwester gelebt haben, weil sie einander sehr zugetan waren oder weil er eine gesellschaftliche Bürde war und streng beaufsichtigt werden musste. Die Beziehung zwischen den Geschwistern konnte sich irgendwo auf einer Skala zwischen Inzest und totalem Abscheu bewegen. Niemand wollte, dass ich es herausfand.
»Ja, das nahm ich an, weil er bei Ihnen lebte. War er übrigens Ihr einziger Bruder?«
»Ich habe zwei weitere und noch zwei Schwestern. Scaeva war noch unverheiratet.« Jetzt hatte ich es: Von seinen fünf verheirateten Brüdern und Schwestern hatte Drusilla Gratiana den reichsten Ehegatten und das bequemste Heim. Gratianus Scaeva wusste, wie man schmarotzte.
»Noch nicht das richtige Mädchen gefunden?«
Drusilla warf mir einen hässlichen Blick zu. »Mit ihm war alles in Ordnung, falls Sie darauf hinauswollen! Er war erst fünfundzwanzig und
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