Mord im Atrium
musste nach ihr sehen, was aber unmöglich war, solange sich der Spion hier aufhielt.
»Ich würde im Traum nicht daran denken, deine Mutter zu verärgern. Ich weiß, wie diskret sie ist«, murmelte Anacrites entschuldigend. Ich wusste, dass sie uns garantiert zuhörte. Aus einem Zimmer zu rauschen und dann das Ohr lauschend an die Tür zu legen war ein alter Trick. »Junilla Tacita ist die beste aller Frauen. Ich werde nie vergessen, was sie für mich getan hat.« Ich würde das auch nie vergessen. Und meinen dämlichen Anteil daran.
Ich schwang mich auf das Ende der Bank, wo meine Mutter gesessen hatte, damit ich ihn direkt anschauen konnte. Auf dem Tisch lag ein Gemüsemesser, mit dem ich spielte, um ihn nervös zu machen. »Tja, nachdem du jetzt ihre Gefühle verletzt hast, lass uns mit der Sache weitermachen. Ist die Verhaftung von Camillus eine fehlgeleitete Taktik, um die Seherin zu finden?«
»Er kannte sie in Germanien.«
»Ich kannte sie auch. Warum verhaftest du mich nicht? Auf diese Weise gewinnst du wenigstens etwas – du brauchst dich nicht der Peinlichkeit auszusetzen, dass ich sie vor dir finde.«
»Justinus hatte eine intime Beziehung mit Veleda«, beharrte Anacrites. Wie zum Hades hatte er das herausgefunden?
»Vor fünf Jahren vielleicht. Jetzt ist er ein verheirateter Mann und Vater und hätte sie vergessen, wenn du dich nicht eingemischt hättest. Stattdessen«, sagte ich düster, »hast du jegliche Loyalität, die er je für diese verdammte Frau empfunden hat, neu entzündet.«
»Er ist in sie verliebt«, schnaubte Anacrites.
»Nein, ist er nicht. Das hat er mir damals gesagt.«
»Er hat dich belogen.«
»Er hat sich belogen«, entgegnete ich leichthin. »Er war ein Junge, und das ist es, was Jungen tun. Das Leben geht weiter. Tatsache ist, er wusste nichts davon, dass Veleda in diesem dämlichen ›sicheren Haus‹, der Villa von Quadrumatus, untergebracht war.« Ich hoffte, Anacrites selbst hatte sie ausgewählt. Ich wagte mich weiter vor. »Er hat keinen Kontakt mit ihr aufgenommen …«
»Das weißt du nicht!«
Also wusste Anacrites es auch nicht. »Verlass dich drauf. Als dein lächerlicher Schlägertrupp ihn verhaftet hat, war er im Begriff, sich mit seiner Frau auszusöhnen.«
»Seiner Frau«, schnaubte Anacrites, »die glaubt, ihr Mann hätte sie verlassen, um seinem Waldliebchen nachzujagen.«
»Sie irrt sich«, erwiderte ich gleichmütig.
Schweigen trat ein. Anacrites konnte es nicht mehr ertragen, von seiner sich abkühlenden Suppe ferngehalten zu werden. Ich vermutete, Mama hatte ihn angewiesen, rasch zu essen, solange die Suppe heiß war. Während er sich darüber hermachte, wartete ich. Von Zeit zu Zeit hieb ich Mamas Messer in das Holz vor mir. Einmal nahm ich es an dem alten Horngriff und tat so, als würde ich ganz in Gedanken damit auf Anacrites zielen.
Da das Thema von Justinus’ Freilassung ungeklärt war, beschloss der Spion, mich mit einer Diskussion über Außenpolitik wütend zu machen. Ich spielte nicht mit. Schließlich ging er zu ausländischen Frauen über. Ungeachtet seines östlichen Aussehens und des griechischen Vornamens besaß er die übliche Aufgeblasenheit ehemaliger Sklaven: Er zählte als echter Römer, aber alle anderen Ausländer waren zweitklassige Eindringlinge. Anacrites fragte nach Claudia Rufina, von der er wusste, dass sie aus Baetica stammte. Der Trottel musste das unschuldige Mädchen auf einer seiner schwarzen Listen führen. »Warum ist Camillus Justinus, der, wie deine Mutter sagte, ein ›lieber Junge‹ zu sein scheint, so besessen von ausländischen Frauen?«
»Ich würde ihn nicht als besessen bezeichnen. Er verspürt die vollkommen normale Zuneigung zum Geld seiner Frau. Das ist weit verbreitet. Rom ist voll von wohlhabenden Provinzbewohnern, und arme Senatorenfamilien brauchen hilfreiche Verbindungen. Justinus und Claudia stehen sich nahe. Er hat sie schon immer gemocht.« Sie liebäugelten. Sie kicherten zusammen. Er hatte sie seinem Bruder geklaut … »Sie sind beide ganz vernarrt in ihren kleinen Sohn.«
»Davor war er in die Seherin vernarrt …«
»Mars Ultor! Du bist derjenige mit der Besessenheit, Anacrites. Auch das war völlig normal. Veleda war mysteriös, schön, mächtig – und er war ein sehr junger Mann, unerfahren und geschmeichelt, als sie Interesse an ihm zeigte. Wir hätten uns alle an sie rangemacht, aber er sah gut aus und war empfindsam, und so wählte sie ihn. Dabei zählt einzig und
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