Mord im Bergwald
nickte. »Es war wirklich so. Pius war früher bei allen beliebt. Er war ein begnadeter Bergsteiger. Er wurde bewundert. Als er diesen Unfall in der ›Chinesischen Mauer‹ in der Leutasch hatte, kamen Hunderte von E-Mails ...«
»Und gerade weil er so ein guter Typ war, verwunderte es die anderen erst recht. Ausgerechnet der Fichtl. Gerade der! War es so?«, fragte Irmi.
Peter Fichtl nickte. »Drum haben sie auch das mit dem Haberfeldtreiben gemacht. Bei jedem hätten sie das sicher nicht getan.«
Irmi starrte ihn an. Was für eine krude Logik. Und was redete er da eigentlich? Ganghofers Zeiten waren eigentlich vorbei. »Haberfeldtreiben?«
»Ja, bei uns am Hof. Mit Fackeln, Klappern und Rasseln. Sie haben eine Puppe abgebrannt, die aussah wie er.« Peter Fichtls Stimme klang beinahe emotionslos, während Afra zu weinen begann. Er nahm seine Mutter ein wenig linkisch in den Arm. »Mama, es ist doch gut.«
»Nichts ist gut!« Ihr Weinen verstärkte sich.
Irmi füllte an der Spüle ein Glas Wasser, das sie Afra Fichtl hinstellte. Mit einer Kopfbewegung beorderte sie Peter Fichtl in den Gang und sagte leise: »Sie sollten Ihren Hausarzt holen. Rufen Sie bitte an. Ihre Mutter braucht Hilfe.«
Peter Fichtl nickte.
»Sagen Sie, wer war beteiligt am Haberfeldtreiben? Ich brauche Namen. Es geht nicht mehr um einen üblen Scherz. Können Sie mir die Namen aufschreiben? Gleich?«
Er nickte wieder.
»Dann machen Sie das. Rufen Sie den Arzt, schreiben Sie eine Liste. Ich geh so lange wieder in die Küche.«
Das Ehepaar Fichtl saß immer noch dort. Er im Rollstuhl, sie auf der Bank. Ein alter Radiowecker klackte jedes Mal, wenn die Zahlen umsprangen. Eine dreibeinige Katze kam herein, die bemerkenswert gut hochspringen konnte, trotz ihrer Behinderung. Sie legte sich neben Afra Fichtl auf die Bank, kreiselte ein wenig, fand einen Platz an Frauchens Oberschenkel und schloss die Augen. In einem nächsten Leben werde ich Katze, dachte Irmi. Katzen konnten einfach die Augen zumachen und die Welt aussperren.
»Kann ich noch etwas für Sie tun?«, fragte Irmi. »Noch ein Wasser?«
Afra schüttelte den Kopf. Dann sah sie Irmi an. »Finden Sie heraus, was mit unserem Bua passiert ist. Er war ein guter Mensch und so a g'scheiter Kopf.«
»Na, ob des so g'scheit war mit dem ganzen neumodischen Zeug im Stall?«, grummelte der Alte.
Afra begann wieder zu weinen. Irmi fühlte sich hilflos. In diesem Moment kam Peter wieder herein. »Der Doktor kimmt glei, Mama«, sagte er. »I begleit die Frau Kommissar noch raus.«
»Wiedersehen«, sagte Irmi. Ihr Gruß blieb unerwidert.
7
Draußen setzte sich Irmi auf das Hausbankerl. Peter Fichtl nahm neben ihr Platz und reichte ihr die Liste. Sie umfasste sieben Namen. »Das sind die, die ich erkannt hab. Es waren insgesamt sicher zwanzig Mann, aber viele hatten Perchtenmasken auf, die konnte ich nicht erkennen.«
Irmi überflog die Liste. »Wer war denn der Anführer?«
»Der Leismüller Tassilo. Der ist vielen hier bei uns zu fanatisch. Und er vertragt nix. Dem ham s', glaub ich, die Milz raus, und seitdem sollte der weniger saufen. Tut er aber nicht, und nach drei Halbe haut der schon mal zu.«
»Da steht noch ein Leismüller drauf«, bemerkte Irmi.
»Ja, der Vinzenz. Das ist sein Sohn, der Vinzi war mit uns in der Schule. Früher war der eher schüchtern, aber seit einigen Jahren schlagt er seinem Vater nach.«
»Und wo find ich diese Leismüller-Sippe?«
»In Wallgau. Aber ich glaube einfach nicht, dass einer von denen meinen Bruder angegriffen hätte. Ich mein, vielleicht mal im Bierzelt, bei den Sitzungen, aber doch nicht so ...
»So brutal, dass er dabei zu Tode kommt?« Irmi suchte seinen Blick. »Herr Fichtl, Situationen eskalieren. Menschen kennen sich in ihrer Wut auf einmal selbst nicht mehr. Sie sagen doch auch, dass dieser Rädelsführer Leismüller ein Choleriker war.«
»Ja, stimmt.« Peter Fichtl überlegte. »Er stänkert ja auch schon seit zwei Jahren gegen uns. Bereits vor dem Milchstreik. Seit wir das mit dem Computer machen.«
»Computer?«
»Ja, also ...« Er sah Irmi ein wenig ratlos an – mit einem »Wo soll ich da beginnen?«-Blick.
»Sie dürfen ein gewisses Fachwissen voraussetzen. Wir haben auch eine Landwirtschaft zu Hause«, erklärte Irmi.
»Echt?«
»Echt.« Irmi lächelte ihn aufmunternd an.
»Ja, gut, dann kennen Sie das ja. Bei der Milchleistungsprüfung, der MLP, das kennen Sie ja, haben wir immer einen recht guten Eiweiß- und
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