Mord im Bergwald
Kopf abbeißen oder bei der Geburt sterben und verbluten. Ist es männlich, wenn man am Stammtisch erzählen kann, dass der Fuchs den Kälbern bei lebendigem Leib die Ohren abfrisst? Tiere quälen, ihr qualvolles Verenden einkalkulieren – ist das männlich?« Irmi war übel, und die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus. Sie wusste gar nicht, wo sie plötzlich hergekommen waren.
Er starrte sie an. »Der Stärkste überlebt. So is des!«
»Survival of the fittest! So ein Schmarrn! Es handelt sich nicht um Wildkatzen, und es sind auch keine wilden Rinder. Sie sind von einem Grattler wie dir abhängig.«
»Hast du grad Grattler zu mir g'sagt, du Schlampe?« Er gab Irmi einen leichten Schubs.
Die fuhr blitzschnell herum, trat ihm in die Kniekehle, woraufhin Leismüller mit einem verdutzten Schnauben zusammensackte. Während er sich berappelte, zog Irmi die Dienstmarke und ihre Dienstwaffe hervor.
»Mangold, Kriminalpolizei. Das war ein tätlicher Angriff auf eine Polizistin. Dazu kommt Beleidigung. Fette Tusse. Schlampe. Ich werd jetzt mal eine Streife kommen und Sie abtransportieren lassen.«
Leismüller erhob sich und setzte seinen Hut wieder auf. Er starrte Irmi an, und auf einmal trat ein neuer Ausdruck in sein Gesicht. »Jetzt kommen S', vergessen wir das. Aber diese Tierschützer sind wirklich lästig. Ich hätte ja sehen müssen, dass Sie keine von denen sind. Sie sind doch ein anderes Kaliber.« Er lächelte schief.
Der versucht doch nicht etwa, mir zu schmeicheln oder mit mir zu flirten?, dachte Irmi angewidert. Der Alte war gefährlich. Und eines war er sicher nicht: dumm.
»Wie war das mit den Kälbern? Und dem Amtstierarzt?«
»Das war eben so. Quasi ein Unfall.« Er verlieh seiner Stimme immer noch etwas Verschwörerisches. So als steckten sie unter einer Decke. Mit so einem würde sie nirgendwo stecken, schon gar nicht unter einer Decke.
»Mit dem Sie sich am Stammtisch gebrüstet haben?« Irmi hatte die Augen zusammengekniffen.
»Ich nicht, mein Sohn. Das sind ja gute Freind, die einem gleich das Amt auf den Hals hetzen.«
»Pius Fichtl, meinen Sie?«
»Der Sack!«
»Der Sack, auf dessen Hof ein Haberfeldtreiben stattgefunden hat. Und Sie waren dabei, vorneweg sogar. War das auch männlich?« Irmi blieb eisern.
»Das war notwendig. Wenn einer sich so querstellt. Der hat's verdient.«
»Weil er nicht mitstreiken wollte?«
»Wir müssen z'sammhalten. Wir müssen dastehen wie ein Mann. Wenn so einer wie der Fichtl, des Bürscherl, der moant, er sei was Besseres, wenn der das nicht kapiert, dann muss man's ihm vermitteln. Des war letzten Sommer. Hot er mi jetzt ein Jahr später angezeigt? Des is ja schon verjährt.« Er lachte wieder unangenehm.
»Nein, aber er ist tot. Das verjährt nicht so schnell.« Irmi beobachtete ihn genau.
Er war überrascht. Wirklich überrascht. »Tot, der Fichtl?«
»Ja, der Fichtl. Pius Fichtl, des Bürscherl.« Sie sah ihn provozierend an.
Er überlegte kurz. »Was hob i damit zu tun?«
»Gute Frage. Wo waren Sie Mittwoch letzter Woche?«
»Was woaß denn i?«
»Es wäre aber gut, wenn Sie das wüssten.« Der Mann verursachte ihr körperliches Unbehagen.
»I fahr Futtermittel aus, da müsst ich in meinem Kalender nachsehen.«
Himmel, so einer war auch noch Lieferant für Tierfutter. Wohl mit dem Lkw, der so zerdengelt aussah, dass Irmi daran zweifelte, ob das Ding noch TÜV hatte.
»Dann tun Sie das, und außerdem machen Sie mir eine Liste von allen, die am Haberfeldtreiben beteiligt waren. Von allen.«
»Jetzt?«
»Jetzt, ja. Und zwar außerordentlich zügig. Sofort, nicht bloß glei.« Irmi war überrascht, dass Leismüller sich tatsächlich trollte und ins Haus ging. Man hörte von drinnen irgendwelches Geschepper, wenig später kam er wieder. Er hatte ein Schulheft in der Hand, das ihm wohl als Notizblock diente. »Am letzten Mittwoch war i im Miesbacher Raum. Den ganzen Tag.«
»Kann das wer bezeugen?«, fragte Irmi.
»Sicher. Die Kunden.« Er fixierte Irmi mit einem unangenehmen Blick.
»Namen, Anschrift, Telefon.«
Er riss eine Seite aus dem Heft und machte Notizen. Seine Schrift war überraschend ordentlich. Große geschwungene Buchstaben.
»Wir überprüfen das«, sagte Irmi und wünschte sich weit weg.
Er zuckte mit den Schultern. »I hob nix zu verbergen.«
»Schön. Wo ist eigentlich Ihr Sohn?«
»Ned da.«
»Geht's etwas genauer?«
»Ja, der fahrt au aus. Er ist unterwegs. Kommt sicher erst spat wieder.«
»So, so. Dann
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