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Mord im Bergwald

Mord im Bergwald

Titel: Mord im Bergwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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vernachlässigt wirkenden Gästehäusern. Sie passierten den Bahnhof, der den Charme einer Industriebrache verströmte und kaum eine Visitenkarte für einen Touristenort war. »Mittenwald – ein gutes Gefühl« – so lautete der Slogan der Karwendelgemeinde. Rechts würde demnächst ein Fünf-Sterne-Hotelkomplex entstehen, sogar das Schwimmbad wurde deshalb verpflanzt. Wellness, Spa, Event – das waren die Schlagworte all jener, die trotz Wirtschaftskrise offenbar genug Geld hatten. Die touristische Schere ging weiter auf: Hotelzauberberge wie das Kranzbach boomten, der günstige Urlaub auf dem Bauernhof ihrer Nachbarin auch. Die ganz normale Pension ihrer Tante jedoch wurde höchstens mal von einem abgewrackten Staubsaugervertreter besucht.
    Wie zufällig verlangsamte Irmi ihren Schritt am Cafe Hochland. Bis auf zwei Mountainbiker waren sie allein auf der Terrasse. Irmi konnte sich nicht helfen, aber auf einmal hatte sie geradezu animalische Gelüste. Ihre Bestellung – ein Helles und dazu Käsekuchen – rang der Bedienung ein Lächeln ab, der jungen Frau auch. Sie nahm ebenfalls ein Bier – allerdings ohne Käsekuchen.
    Irmi schwieg noch immer, wohl wissend, dass Schweigen manchmal besser war. Es lockerte die Zungen, weil die meisten Menschen Wortlosigkeit nicht ertragen konnten.
    Irgendwann fragte das Mädchen: »Sie sind von der Kripo. Wegen Pius. Ermitteln Sie?«
    Ihr Akzent war hinreißend, das ganze Mädchen war hinreißend!
    »Sagen Sie mir zuerst, wie Sie heißen?«, fragte Irmi mit einem Lächeln.
    »Oh, entschuldigen Sie. Meike.«
    »Meike, sind Sie Holländerin?«
    »Nein, Belgierin. Ich bin aus Brügge.«
    »O, wie schön! Ich war da mal, auf dem Weg zur Irlandfähre in Zeebrügge. Was macht denn so ein Küstengewächs hier im Gebirge?«
    Meike lächelte, was sie noch hinreißender machte. »Ich arbeite auf der Alm.«
    Irmi runzelte die Stirn. War sie eine dieser jungen Frauen auf dem Selbstfindungstrip? Ein Mädchen, das sich irgendwo in der Tiefebene eine Idee von der Almenromantik zusammengestrickt hatte? Dabei war das ein Knochenjob! Irmi wusste, wovon sie sprach. Sie hatte früher mal einen Almsommer in Graubünden verbracht. Und sie wusste, dass hier in Oberbayern der Almwirtschaftliche Verein Leute aller Altersklassen an jene Bauern vermittelte, die Bedarf hatten. »Alle schauen so wie Sie«, sagte Meike. »Wir waren früher immer zum Skifahren hier. Meine Mutter ist übrigens aus Deutschland, vom Kaiserstuhl. Ich liebe die Berge. Und ich studiere zu Hause Agrarwissenschaft. Ich wollte mal die andere Seite sehen, was von der Transhumanz heute noch übrig ist.«
    Irmi lächelte. »Hm, Almen haben Sie in Belgien wohl keine?«
    »Nein! Was mich fasziniert hat, ist die Tatsache, dass trotz vieler Betriebsaufgaben im Flachland die Abnahme von Bergbauern viel geringer ist.«
    »Tatsächlich?«
    »Ja, die Abnahme liegt bei nur 1,5 Prozent. Mein Professor sagte, das wäre aber logisch, weil es sich im Alpenraum um absolute Grünlandlagen handelt, die nur mit Wiederkäuern sinnvoll genutzt werden könnten.« Sie betonte die Worte akkurat, sie sprach gewählt.
    Ein ungewöhnliches Mädchen, fand Irmi. »Stimmt«, meinte sie. »Und was hat er noch gesagt, der Herr Professor?«
    »Dass es ums Emotionale geht, um die enge Bindung der Bauern an ihren Grund, an ihr Erbe. Dass gerade Bergbauern im Nebenerwerb wirtschaften. Wenn mehrere Generationen Hand in Hand arbeiten, hat man sein Auskommen, die Frau vermietet Fremdenzimmer, der Mann arbeitet beim Maschinenring oder fährt Schneepflug. Und die Almwirtschaft bleibt konstant.« Die hübsche Belgierin schaute finster drein.
    »So weit die graue Theorie – wollen Sie das sagen? Deute ich da Ihre Miene richtig?«, fragte Irmi mit einem prüfenden Blick auf das Mädchen. »Zu viel Almromantik?«
    »Ach, ich wusste schon, dass da harte Arbeit auf mich wartet. Mir war auch klar, dass die Almen zuwachsen. Früher gab es auf den Almen spezielle Almputzer, die nichts anderes taten, als die Weiden freizulegen. Das mach ich heute, und das ist viel Arbeit, viele Höhenmeter sind das. Man bleibt fit, das ist der Vorteil.«
    Dennoch hatte Irmi das Gefühl, dass sich bei der jungen Frau, die anscheinend so gut vorbereitet gewesen war, die Erwartungen nicht mit der Realität deckten. »Trotzdem sind Sie ein wenig enttäuscht?«, fragte Irmi schließlich vorsichtig.
    Meike hatte den Kopf gesenkt, wippte ihr Bierglas hin und her. Plötzlich riss sie den Kopf hoch.

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