Mord im Bergwald
»Ja, ich bin enttäuscht. Von den Menschen. Als ich hier ankam, waren alle supernett zu mir. Es sprach sich natürlich herum, dass eine blonde Belgierin da ist, ich wurde sozusagen besichtigt. Ich war ein paar Mal unten im Dorf am Stammtisch dabei, die Leute waren wirklich superlieb zu mir.«
Irmi lächelte. »Und ich nehme mal an, es gab eine Reihe von jungen Burschen, die interessiert waren?«
»Ja, natürlich. Nicht bloß die Jungen. Aber es war Spaß. Wie sagt man? Alle blieben Kavaliere.« Sie machte eine Pause und lächelte ein wenig wehmütig. »Die ersten Wochen waren richtig schön. Die Männer wussten, dass bei mir nichts geht, und ich war so eine Art Maskottchen.«
Irmi ahnte, worauf es hinauslief. »Aber dann kam Pius? Pius Fichtl?«
Tränen waren in Meikes Augen getreten. Irmi wühlte in den Taschen und reichte ihr ein Tempo.
»Pius kam mit ein paar Haflingern. Wir haben ja auch Pferde oben. Dann kam er eines Tages mit dem Mountainbike. Hier sind ja einige mit dem Rad unterwegs.«
»Er sah sehr gut aus«, bemerkte Irmi und betrachtete das Mädchen.
»Ja, aber das war es nicht.«
Irmi nahm das Bier in Empfang, schenkte die beiden Gläser voll. Wartete.
»Klar sah er gut aus, besser als die anderen. Ich meine, die Jungs hier haben gerne mal einen Bauch. Auch die Jüngeren. Das gefällt mir nicht so.«
Irmi musste lachen, das entkrampfte die Situation irgendwie. Meike lächelte nun auch.
»Stimmt doch, oder? Die trinken alle zu viel Bier. Aber Pius war auch sonst anders. Er war viel erwachsener. Mit ihm konnte man reden. Er wusste, was er wollte. Er ...« Nun kamen die Tränen wieder.
Irmi überlegte. Was wusste sie letztlich über Pius Fichtl? Er war der Jungbauer, der sich ins Abseits manövriert hatte, der alle gegen sich aufgebracht hatte, der mit dem Kopf durch die Wand gewollt hatte. Den sie dennoch nicht gehasst hatten. Sie hatte ihn nicht gekannt, sie wusste nur, dass Bernhard auf ihn reagierte wie der Kampfstier auf das rote Tuch. Dass in der Arena hitzige Diskussionen entbrannt waren, dass es kleinere Schlägereien gegeben hatte. Dass sie ein Haberfeldtreiben initiiert hatten, die sauberen Freunde ihres Bruders.
Die Wut in ihr kehrte zurück. Sie erinnerte sich voller Groll daran, dass Peter Fichtl in verquerer Logik dieses Haberfeldtreiben sogar als Auszeichnung verstanden hatte: Das hätte man nicht wegen jedem getan. Wegen eines Fichtls aber schon.
»Meike, wussten Sie, dass Pius ziemlich unbeliebt war? Dass er viel Ärger hatte mit den anderen Bauern?«, fragte Irmi.
Nun sah Meike fast entrüstet aus. »Sicher, sie haben sich gezankt wegen des Milchstreiks. Natürlich haben wir darüber geredet. Pius hatte eben andere Ansichten.«
»Ja, und damit hat er provoziert.« Irmi gab sich Mühe, neutral zu klingen.
»Ach, das ist so typisch!« Meike geriet in Rage. »Wenn alle etwas tun, muss es recht sein. Ist das Demokratie? Sind das denn Lemminge? Ist das schlau, wenn alle in eine Richtung rennen?«
Sie war nicht nur hübsch, sie war auch klug. Sie war bereit, für ihre Ideen einzustehen. Irmi atmete tief durch und sagte dann: »Wissen Sie, mein Bruder und ich, wir haben zu Hause auch eine kleine Landwirtschaft. Mein Bruder ist vom Verfall des Milchpreises akut bedroht. Wenn einer wie Pius dann nicht solidarisch ist mit den Streikenden, dann gibt das böses Blut.«
»Das ist mir klar, ich habe Pius auch gesagt, er soll mitstreiken, aber er war der Überzeugung, dass das alles nichts bringt. Hat es ja auch nicht. Pius hat immer gesagt, dass die Molkereien dann Milch aus dem Osten holen, dass in der allgemeinen Hektik und Panik diese Milch dann auch gar nicht mehr kontrolliert wird, weil die Anlagen in den Molkereien ja weiterlaufen müssen. Pius war tief überzeugt, dass in einer so eng verflochtenen ...« Sie unterbrach sich. »Sagt man das so? In einer eng verflochtenen Welt?«
Irmi nickte. »Ja, Ihr Deutsch ist sowieso perfekt.«
Sie lächelte. »Ich sprech mit meiner Mutter immer Deutsch. Also in so einer Welt, wo die Aktion eines einzigen Landes nichts bringt. Und so war es doch auch. Bei Hochland in Schongau haben sie ungarische und polnische Milch angeliefert. The Show must go on!«
»Aber es ging doch auch darum, ein Zeichen zu setzen! Den Verbraucher wachzurütteln!«, rief Irmi. Sie wusste, dass diese ganze Sache sie viel zu stark emotional berührte. Viel zu stark für eine ermittelnde Kommissarin.
»Wie gesagt, ich bin da auch eher Ihrer Meinung, aber Pius konnte
Weitere Kostenlose Bücher