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Mord im Bergwald

Mord im Bergwald

Titel: Mord im Bergwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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eben nicht gegen seine Überzeugung ankämpfen. Hier macht man viel ›wegen de Leut‹, oder? ›Wegen de Leut‹ hätte er mitstreiken sollen, aber genau das wollte er nicht. Die wenigsten sehen die größeren Zusammenhänge, scheint mir.«
    Irmi runzelte erneut die Stirn. Musste sie sich von einer Zwanzigjährigen die Welt erklären lassen? Größere Zusammenhänge – was für eine hochtrabende Formulierung!
    Meike ignorierte Irmis Blick und fuhr fort: »Die wenigsten wissen doch, dass der Verfall des Milchpreises auch damit zu tun hat, dass Ersatzprodukte inzwischen billiger sind als echte Milch. Solange echte Milchprodukte zum Beispiel für Pizzakäse subventioniert waren, verwendeten die Firmen auch Milch. Der Wegfall dieser Subventionen fiel mit dem Milchstreik zusammen. Jetzt ist Synthetik eben billiger, und wir fressen Plastik auf der Pizza. Da steht dann ›analoger Käse‹. Wer weiß denn schon, was das heißt?«
    Irmi musterte das Mädchen. Was sie sah, war eine junge Frau im Disko- und Partyalter, doch wen sie hörte, war eine mindestens Dreißigjährige, die ruhig und sachlich argumentieren konnte. Fast schmerzlich wurde ihr bewusst, dass sie selbst den Elan der Jugend verloren hatte. Das Diskutieren, das Die-Welt-retten-Wollen gehörten der Vergangenheit an. Sie machte ihren Job, sie funktionierte, sie nutzte kleine Fluchten ins Holz oder mal ins Gebirge zum Wiedererstarken. Sie konnte auf Stammtischniveau mitdiskutieren, mit Halb- oder Viertelwissen.
    Irmi räusperte sich, eine typische Übersprungshandlung. »Das mag ja alles stimmen, aber für mich geht es um mehr.«
    »Frau Mangold, mal ganz ehrlich: Die Existenz mancher Betriebe ist bedroht, das leugne ich nicht, die meisten aber werden mit Einschnitten überleben können.«
    Irmi geriet in Rage. »Na ja, so einfach ist das auch nicht, wie Sie meinen! Einschnitte! Da müssen Bankkredite bedient werden, viele haben neue Laufställe gebaut.«
    »Ich behaupte ja auch nicht, dass das ein Spaziergang ist, aber die meisten Kleinbauern haben noch einen Job, vermieten Zimmer, verkaufen Holz. Ich will das gar nicht schönreden. Aber man überlebt. Wer aber nicht überlebt, sind die Großen. So ein Betrieb im Osten mit ein paar Tausend Kühen hat sechs Angestellte, die er bezahlen muss. So ein Betrieb verliert im Monat zwanzigtausend Euro. Da ist kein Spielraum, da sind keine Rücklagen, da kann man keine Gehälter mehr auszahlen. Die gehen kaputt, unweigerlich, da wo der Kleine noch Spielraum hat.«
    Wieder konnte Irmi wenig dazu sagen. »Und am Ende kriegen die Kleinen dann wieder bessere Preise, weil die Großen raus sind«, konstatierte sie schließlich und merkte, dass das wie eine Frage klang.
    »Das kann passieren«, sagte Meike. »Eine gewisse Schizophrenie. Erst macht die Preistreiberei der Großen die Kleinen kaputt, und dann verenden sie an ihrer eigenen Gier.«
    Irmi versuchte den Faden wiederzufinden. »Also, das waren die Argumente von Pius Fichtl, nehme ich an?«
    »Ja, er war sehr gut informiert, hat im Internet recherchiert, hat sich mit Jungbauern in Mecklenburg ausgetauscht ...« Sie stockte, Tränen traten in ihre Augen. Irmi reichte ihr noch ein Taschentuch. »Aber seine Argumente wollten die hier nicht hören. Die haben lieber gepoltert und gewettert.«
    Irmi wusste genau, was Meike meinte. Das Mädchen hatte recht. Nur wer informiert war, wer ein profundes Hintergrundwissen hatte, konnte überzeugen. Aber wer aufrichtig war und klug, wurde skeptisch beäugt. Wer besser war, brachte den Pöbel gegen sich auf. Sprichmacher, Spruchbeutel – so hatten sie Fichtl genannt. Fichtl hatte argumentiert, anstatt zu polemisieren. Polemik kam aber besser an. Und auf einmal wurde ihr klar, wie sehr dieser Pius Fichtl gefährdet gewesen sein musste. Er war anders. Und das konnte auf dem Land tödlich sein. Sie schluckte.
    »War es ihm egal, dass alle gegen ihn waren?«, fragte sie schließlich.
    »Nein, natürlich nicht! Er war wütend und traurig. Aber wir hatten ja uns.«
    Zwei junge Menschen, zu zweit gegen alle. Wie lange konnte man das aushalten?, fragte sich Irmi. Wie lange konnte der Mensch es überhaupt aushalten, ein Aussätziger zu sein? Zumal hier, wo Gemeinschaft noch etwas zählte.
    »Wurden Sie denn auch angefeindet, Meike?«
    Sie nickte. »Ja, das G'spusi vom Verräter, haben sie gesagt. Es kam kaum mehr jemand auf die Alm. Im Dorf unten haben sie nicht mehr gegrüßt. Ich bin auch nirgends mehr hin. Und auf dem Hof hatte ich ja

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