Mord im Bergwald
Zeit, bis Bernhard in die Küche kam und hilflos im Türrahmen stehen blieb. Sie hob den Blick, er reichte ihr zögernd ein zerknülltes Tempo. Bernhard, dieser Bauernschädel! Männer polterten und rumpelten durchs Leben, und ihre Entschuldigungen waren dann so, dass man Hellseher sein musste, um sie als solche zu erkennen. Ihr ein Tempo zu reichen, war so eine linkische Geste – voller Hilflosigkeit.
Irmi schnäuzte sich und kam langsam auf die Knie. So war das Leben immer. Man war am Boden, raffte sich mühsam hoch, ging erst auf die Knie, dann in gebückte Haltung, bis man langsam wieder in die Vertikale gelangte. Aufrappeln musste man sich, immer wieder, den Schmerz irgendwohin verbannen, bis man wieder mit erhobenem Kopf und klarem Blick dastehen konnte.
Irmi rappelte sich auf, ohne die von Bernhard angebotene Hand zu nehmen. Sie sah an ihm vorbei, dorthin, wo in der Spüle ein paar Tassen standen, Brotkrümel die Arbeitsfläche übersäten und wo wie immer jemand vergessen hatte, das angeschnittene Brot in eine Tüte oder in den Brotkasten zu legen. Das Brot würde hart werden, und Irmi würde es an Irmi Zwo, ihre Lieblingskuh, verfüttern. Alles war wie immer, und doch wurde es mit jedem Mal beschwerlicher.
»Ich brauche von dir eine genaue Aufstellung der Leute, die mit dir auf der Fischbachalm waren. Ich brauche Angaben von dir, wo genau du an diesem Tag zu welchem Zeitpunkt warst – vor, während und nach der Veranstaltung. Je genauer, desto besser für dich«, sagte Irmi mit einer Kälte, die sie selber erschreckte.
Bernhard schaute sie verständnislos an.
»Pius Fichtl, der Verhasste, der Verfemte, der euch sogar ein Haberfeldtreiben wert war, kam in der Nähe der Fischbachalm zu Tode. Am Tage eurer werten Anwesenheit.«
Auch ihr stand der Sarkasmus nicht wirklich.
Bernhard schien langsam zu begreifen. »Aber du kannst doch nicht ...«
»Doch, ich kann. Ich muss sogar und kann deinen Namen da nicht raushalten. Weißt du, was los ist, wenn das rauskäme? Dass ich meinen Bruder decke? Aber du hast ja nichts zu verbergen als guter Robin Hood des Bauernstands.« Nein, der Sarkasmus stand ihr nicht.
Ohne ein weiteres Wort ging sie hinaus und die Treppe hinauf in ihr Schlafzimmer, wo Kater schon lag und ein Auge öffnete. Er schien ihr zuzuzwinkern. Ein leises Lächeln huschte über Irmis Gesicht. Es war gut, dass es Vierbeiner gab in einer Welt verbohrter, eigensinniger, böswilliger oder auch kranker Zweibeiner. Sie schlief schnell ein, trotz oder gerade wegen ihrer Erschöpfung.
Als sie am nächsten Morgen in die Küche kam, war der Kaffee bereits aufgebrüht, und zwei Blätter lagen auf dem Tisch. Bernhard hatte ihr die Namen der Demonstranten aufgeschrieben, drei Namen deckten sich mit denen vom Haberfeldtreiben. Bernhard war dabei gewesen, ein gewisser Anton Ott und Franz Diepold. Beide aus Nachbargemeinden von Garmisch. Die anderen stammten vor allem aus dem Miesbacher und Tegernseer Raum.
Das zweite Blatt enthielt eine Aufstellung über Bernhards Erlebnisse am vergangenen Mittwoch. Von der Stallarbeit am Morgen über die Fahrt zum Hof von Anton Ott, von wo aus ihn der Kollege mitgenommen hatte. Von einem kurzen Frühschoppen in der Post in Krün über das Treffen aller beim Sägewerk bis hin zu den Gesprächen auf der Alm. Von der Abfahrt über eine erneute Einkehr, diesmal in Kaltenbrunn, bis zur Ankunft bei Ott, wo Bernhard laut seinen Aufzeichnungen bis zur Stallzeit gewesen war.
Irmi trank ihren Kaffee und starrte auf Bernhards Gekrakel. Das war natürlich alles recht und schön, klar war aber auch, dass inmitten des brodelnden Emotionskessels auf der Alm jeder die Gelegenheit gehabt hätte, sich zu absentieren. Und theoretisch bestand auch die Möglichkeit, dass sich Bernhard und Ott gegenseitig Alibis geben konnten.
Irmi kannte diesen Toni Ott. Er war einer dieser schon fast ausgestorbenen Bauern, die ihre Kühe noch täglich putzten. Und Diepold war Ende zwanzig und sah eher wie ein E-Technik-Student aus als wie ein Bauer. Ein kluger junger Bursche. Irmi waren die Männer immer eher besonnen vorgekommen, wenn sie die hitzigen Diskussionen bei sich zu Hause in der Küche so am Rande mitverfolgt hatte. Aber sie hatte Bernhard bisher auch immer als gutmütig eingestuft. Gerade kam er aus dem Stall und drückte sich im Türrahmen herum.
»Morgen«, sagte Irmi kühl. »Ich hab mir das angesehen und geb das so an die Kollegen weiter. Kann sein, dass sich jemand bei dir meldet. Wir
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