Mord im Bergwald
überprüfen alle deiner Haberfeld-Freunde. Sei so nett und gib ohne größere Aktionen Auskunft, ja?« Sie wandte sich um und stapfte nach draußen.
An diesem Tag war sie früh dran. Nach und nach trudelten die Kollegen im Büro ein, und Irmi berief eine kleine Runde ein. Kathi sah müde aus, und in Irmi stieg plötzlich eine Woge von Verärgerung hoch. Wieso hatte Kathi sie belogen? Aber das war ein anderes Thema, eines, das auf später vertagt wurde.
Irmi erklärte den Sachverhalt und verteilte Teams, die die ganzen Haberfeldtreiber befragen sollten. Es ging ein Raunen und Murren durch die Runde. Kathi sollte überprüfen, wer bei der Bauerndemo auf der Alm gewesen war.
»Hat jemand irgendwelche Probleme?«, fragte Irmi am Ende ihrer Ausführungen ziemlich barsch.
Kathi schien zu einer Rede anheben zu wollen, aber Irmis frostiger Blick stoppte sie.
»Gut. Dann treffen wir uns um fünfzehn Uhr wieder. Ich muss weg.« Und ohne weitere Erklärungen verließ sie das Büro. Noch auf der Treppe hörte sie das erboste Stimmengewirr. Das Leben war eben kein Ponyhof, dachte sie verbittert. Die Arbeit auch nicht.
9
Obwohl Fichtl in den letzten Monaten offenbar wenig Freunde gehabt hatte, war der Friedhof zum Bersten gefüllt. Aber so war das auf dem Land. Hochzeiten und Todesfälle – da war man auf den Beinen. Wo Irmi in ihren jungen Jahren noch die Scheinheiligkeit solcher Veranstaltungen angeprangert hatte, war sie heute differenzierter. Natürlich kamen die Dorfratschen und die Freibiernasen, aber es kamen eben auch jene, die der Familie damit ihre Reverenz erweisen wollten.
Der alte Fichtl war eine Institution gewesen: Vorstand der Blasmusik, Feuerwehrkommandant. Er und seine Frau stammten aus jener Zeit, in der man die Kühe noch täglich geputzt hatte. Das Wort Silofolie hatte der alte Fichtl nicht mal aussprechen können, und die heutige Laufstalllandwirtschaft war nicht mehr seine Welt. Und auch der Sohn Pius war letztlich ein Fichtl gewesen. Der Bergsteiger, das hübsche Blauauge.
Irmi war froh, dass es kein offenes Grab gab, sondern nur eine einfache Urne. Dahinter stand mit regungslosem Gesicht die Mutter. Bartholomäus Fichtl sah heute deutlich schlechter aus als beim Gespräch in seiner Küche. Der Anblick von Peter Fichtl versetzte Irmi einen Stich. Diese Augen so blau. Sie nickte ihm unmerklich zu, schwenkte ihren Weihwasserbuschen, trat zur Seite und blieb an der Mauer stehen. Ihr Blick glitt über den Friedhof, wo sie sich in Reih und Glied bis zur Grabstelle drängten.
Hinter einem hohen polierten Stein stand eine junge Frau. Sehr blond, sehr verweint, sehr hübsch. Irmi blieb stehen, während sich die Menschen allmählich zerstreuten oder zur Gaststätte strebten, wo der Leichenschmaus stattfinden sollte.
Als alle fort waren, trat das Mädchen näher, legte eine hellrote Rose unendlich langsam nieder. Ihre Schultern bebten. Als das Mädchen sich umwandte, erschrak es kurz und murmelte dann ein »Entschuldigung«.
Irmi lächelte sie an. »Verzeihen Sie. Ich hab Sie erschreckt.« Sie zögerte kurz. »Ich bin Irmi Mangold von der Kriminalpolizei. Ich nehme mal an, Sie kannten den Toten näher?« Das war eine blöde Frage, dachte Irmi, aber was sollte man in einer solchen Situation schon fragen?
Das Mädchen begann zu weinen.
Nach einer Weile meinte Irmi leise: »Würden Sie einen Kaffee mit mir trinken? Oder gehen Sie zum Leichenschmaus?«
»Ganz sicher nicht.« Irmi registrierte einen Akzent, den sie nicht gleich einordnen konnte. »Ich geh nicht in den Stern. Ich doch nicht.«
Der Stern, natürlich. Wo sonst würde man eine schöne Leich abhalten! Eine Traditionsfamilie ging in den Stern, und die Fichtls gehörten definitiv zum Inner Circle. Es war ein Clan, der seine Bergvorfahren ungefähr bis zu jenen Karwendelhaudegen zurückverfolgen konnte, die damals an der Porta Claudia mitgebaut hatten.
Es war still, irgendwo sang ein Vogel. Eine dicke Hummel schwirrte heran und umsummte einen der Kränze.
»Pius mochte Hummeln. Er sagte immer, sie würden Glück bringen«, sagte das Mädchen leise.
Die junge Frau hatte einen holländischen Akzent, das war es! Sie klang wie Rudi Carrell oder eher wie Frau Antje. Sie sah auch so aus. Blond, genauso blauäugig wie Fichtl. Sie hatte eine sportliche, kräftige Figur, sah aus wie ein Mädchen, das zupacken konnte.
»Gehen wir?«, fragte Irmi.
Sie nickte. Schweigend liefen sie nebeneinander her. Durch Mittenwalds Gassen, vorbei an leicht
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