Mord im Bergwald
lebendige Beweis sei, dass gute Luft, gute Gene und der bayerische Grant jung hielten. Touristen, Nachbarn und Verwandtschaft seien bei ihr eigentlich immer »Dreckhammel«, »Saukrippel« und »Pritschn«. Dem zugroasten Almnachbarn hatte sie sogar jahrelang das Wasser abgedreht: Eine einzige Quelle speiste nämlich alle drei Himmelmoosalmen, und sie hatte den Zulauf mit einem Weinkorken sabotiert, bis der Nachbar zur Quelle gekraxelt war und den Stopfen entfernt hatte.
Das waren zwar alles ziemlich amüsante Geschichten, aber irgendwie war Irmis gute Laune verflogen. Sie schluckte noch an der Kälberkuh.
Plötzlich waren Stimmen zu hören, und wenig später wuselte eine Gruppe von Kindern heran, die Irmi auf zwölf bis vierzehn Jahre schätzte. Als Letzter der Gruppe kam Orlowski. In militärischem Tonfall schmetterte er seine Befehle heraus: Umziehen, Waschen, Essen fassen. Die Kids trollten sich ins Berghaus. Dann erst entdeckte Orlowski Irmi und Kathi.
»Die Damen aus Garmisch. So eine Überraschung. Was führt Sie in mein Heimatrevier?« Er versuchte fröhlich und launig zu klingen, aber das misslang ihm gründlich.
»Ja, Herr Orlowski, ein schönes Revier. Was uns allerdings interessiert, ist eher das Revier von Pius Fichtl. Und damit meine ich die hübsche Meike. Es gab genug Wilderer, die sich an ihr gütlich tun wollten. An jenem Tag im August, als Pius Fichtl ums Leben kam und Sie in Rufnähe waren – was haben Sie da gemacht? Warum haben Sie mit ihm gestritten?«
Diese schnelle Attacke warf den kleinen DAV-Mann völlig aus der Bahn. Er sank auf die Holzbank und trank Kathis halben Brünnsteindiesel aus.
»Sagen Sie mal, geht's noch?«, herrschte die ihn an.
Orlowski schwieg.
»Soll ich Ihnen noch einen bestellen?«, herrschte Kathi ihn erneut an. »Von Ihrem Reviergetränk?«
»Ich trinke sonst keinen Schnaps«, entgegnete Orlowski.
»Klar, ganz der Sportler. Für siebenundfünfzig sind Sie gut in Schuss, Herr Orlowski, oder. Ich hätte Sie jünger geschätzt. Da schafft man es auch, einen jungen durchtrainierten Mann zu überwältigen.« Irmi durchbohrte ihn mit Blicken.
»Ich hab doch mit dem Tod von Fichtl nichts zu tun!«
»Ach so, und warum waren Sie an Fichtls Todestag auf der Alm? Warum wurden Sie gesehen, als Sie vom Hundstall retour kamen? Was haben Sie da gemacht? Und wieso hat man Sie gesehen, als Sie um die Mittagszeit mit Fichtl gestritten haben?«
»Wer behauptet das?« Orlowski sah so aus, als könne er gut noch einen Schnaps vertragen.
»Ein Zeuge!« Irmi behielt ihren kühlen Ton bei.
Orlowski schluckte. »Wer?«
»Lieber Herr Orlowski, Sie haben das Spiel missverstanden. Die Regeln stelle ich auf, die Fragen kommen aus meinem Mund. Ich kann Sie auch verhaften lassen. Haben Sie das immer noch nicht kapiert? Sie stehen unter Mordverdacht.«
Orlowski hatte einen großen Teil seiner Arroganz eingebüßt. »Ja, ich hab mit ihm gestritten, aber das war ganz in der Früh. Was soll denn das mit der Mittagszeit?«
»Herr Orlowski, ich warne Sie. Verschwenden Sie nicht unsere Zeit und erzählen lieber, was sich am letzten Mittwoch auf der Alm ereignet hat. Morgens, mittags und von mir aus in der Nacht. Aber reden Sie endlich. Sie sind doch sonst nicht so sprachlos.«
Er atmete schwer. »Da sollte doch diese Bauerndemo sein. Ich wollte die Anwesenheit der Ministerin und auch der Presse nutzen, auf mein Anliegen, den Schutzwald, aufmerksam zu machen. Sehen Sie, da war dieses Pfingsthochwasser, da war das Augusthochwasser: Eschenlohe war überflutet und Garmisch ein Flusssystem aus reißendem Wasser – aber wie schnell ist so was vergessen! Wir siedeln weiter in den Überschwemmungsgebieten, wer weiß denn überhaupt, was Schutzwald ist. Sie?«
Irmi ließ ihn gewähren. Sie hatte die Erfahrung gemacht, dass es gut war, wenn sich die Leute erst mal warm redeten. Viele mussten weit ausholen. Orlowski war sowieso eine Schwätzbacke, und nun fand er allmählich zu seiner oberlehrerhaften Art zurück. Irmi schickte einen kurzen Blick zu Kathi hinüber und signalisierte ihr, Orlowski nicht ins Wort zu fallen. Und Kathi verstand das ausnahmsweise mal.
»Mit dem Forstgesetz für Bayern wurde 1852 erstmals der Schutzwaldbegriff festgelegt. Es handelt sich um Wald in Hoch- und Kammlagen der Gebirge, der maßgeblich dazu dient, Erdabrutschungen, Überflutungen, Steinschläge und Bodenabwehungen zu verhindern. Von einer Gesamtwaldfläche von 250 000 Hektar im bayerischen Alpenraum sind
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