Mord im Bergwald
und hatten die hektischen Japaner beobachtet, die tausendundein Bild geschossen hatten.
Es hatte in Innsbruck T-Shirts mit dem Konterfei Kaiser Maximilians gegeben, und er hatte gesagt, so etwas würde er niemals anziehen. Der Kaiser sei nämlich ein echter Stinkstiefel gewesen – ein Zechpreller, der mit seinem Tross durch die Innsbrucker Gasthäuser gezogen sei, ohne zu bezahlen. Ein guter Ehemann sei er auch nicht gewesen: Bei der Hochzeit mit der jungen Bianca Maria Sforza war er nicht einmal anwesend. Maximilian ließ die Unglückliche auch sonst viel allein, und gefangen in Kummer und Heimweh bestellte sie Lebensmittel aus Italien. Es gilt als gesichert, dass sie an einer Lebensmittelvergiftung starb, der Transport von Frischwaren im Jahre 1510 war eben weniger hygienisch. Und natürlich war der Witwer nicht einmal bei ihrer Beerdigung zugegen!
Irmi liebte ihn, weil er solche Geschichten kannte und weil es ihm wirklich arg war, dass der alte Maxe ein so unsensibler Kerl und so schlechter Ehemann gewesen war. Darum blieb er ja auch bei seiner Frau, die nur noch egoistisch war. Aber war das wirklich gut und richtig?
Als sie einmal eine ganze Nacht zugunsten besserer Beschäftigungen auf den Schlaf verzichtet hatten, waren sie völlig ausgehungert schon um sieben zum Frühstück ins Cafe Central gegangen, in jenes Kaffeehaus mit den grünen Wänden, die wahrscheinlich schon 1884 so ausgesehen hatten. Sie hatten gekichert wie Teenies, und der säuerliche Ober, der auch so ausgesehen hatte, als stamme er aus dem 19. Jahrhundert, hatte sie missbilligend beobachtet. Sie waren durch die Stadt gelaufen, die gerade erst erwachte, und er hatte mal wieder eine Geschichte parat gehabt, diesmal vom wilden Freiheitskämpfer Andreas Hofer, der im Grunde seiner Seele vielleicht doch spießig gewesen war. In seiner Zeit in Innsbruck wohnte er in der Hofburg mit Blick auf einen Brunnen, den er einschmelzen und zu Gewehrkugeln umgießen lassen wollte, weil ihn die »nackerten Brunnenfiguren« störten. Das Leben war so leicht gewesen, mit ihm an ihrer Seite war alles federleicht – sogar sie selbst mit ihrem Ballast, der aus Frust und Fehlernährung stammte.
Sie kamen zügig voran und waren bald in Oberaudorf. Weil Kathi ja höchst ungern bergwärts marschierte, parkten sie an der Hocheckbahn und ließen sich bergauf fahren. Von der Bergstation ging's über den Wiesenweg bergauf und in den Wald hinein, der schattige Weg war ziemlich matschig, was Kathi überhaupt nicht goutierte.
»So eine Schlammschlacht«, maulte sie.
Irmi hingegen genoss das gleichmäßige Gehen. Dieser Brünnstein war ein Berg, der von jeder Seite anders aussah. Als würde er sich immer neu erschaffen, ein felsiger Kamerad mit Eigenleben. Das Berghaus war groß und modern angebaut worden. Orlowski allerdings war noch nicht da.
»Dann geh ich noch auf den Gipfel. Kommst du mit?«, fragte Irmi.
Kathi sah sie missbilligend an. Ihr hatte schon der Aufstieg gereicht.
Also ging Irmi den kleinen Klettersteig allein und kam voller neuem Schwung zurück.
»Ich hab Gämsen gesehen, ganz nah. Die Aussicht da oben ist sensationell, weit hinein in den schroffen Kaiser – wirklich schön.«
»Na dann«, meinte Kathi gut gelaunt. Sie hatte sich ein Weißbier von der Brauerei Bals bestellt und war von einem Bergler belehrt worden, dass das die kleinste gewerbliche Weißbierbrauerei der Welt sei. Dann hatte er ihr einen Brünnsteindiesel spendiert, einen süffigen Kräuterschnaps, dem Insider diesen klingenden Namen gegeben hatten. Und der hatte Kathis Stimmung noch gesteigert. »Der Orlowski ist noch nicht wieder da«, erklärte sie, und Irmi meinte ein leichtes Lallen auszumachen.
Irmi holte sich ein Wasser und auch so einen Schnaps. Das Leben konnte so schön sein. Wäre da nicht Orlowski gewesen. Irmi hatte auf einmal gar keine Lust mehr, ihn zu befragen. Das hier war doch fast wie Urlaub. Eine alte Dame kam vorbei, beäugte Irmi und Kathi und setzte sich zu ihnen.
»I muaß pausieren. Wer seids ihr?«
Irmi faselte irgendwas von Familienausflug, und die Alte betrachtete sie aufmerksam. »Wenn du amoi so dünn warst wie dei Dochter, dann bischt auseinanderganga als wia a Kälberkuh.« Dann stand sie auf und verschwand grußlos.
Irmi schluckte. Kathis neuer Freund, der noch zwei Schnäpse brachte, lachte laut und erklärte, dass diese resolute Dame schon weit über sechzig Almsommer auf einer der drei Himmelmoosalmen hinter sich habe und der höchst
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