Mord im Bergwald
Gang: »Sailer!«
»I kimm glei!«
Das »glei« dauerte zehn Minuten, Irmi bebte.
»Sailer, es ist Sonntag! Wo soll ich da anrufen? Ich muss jetzt wissen, wem die Jacke gehört.«
»I woas und drum hob i die Tanja ogrufn, was die Tochter von der Kusine ist, die Tanja, die wo in der Kaserne arbeit.«
Irmi starrte Sailer an.
»Sagen Sie jetzt ned, des war eigenmächtig. Die Tanja sagt, des is die Jacke von Peter Fichtl!« Und schon war er wieder weg.
Pius Fichtl war tot, und ganz in der Nähe des mutmaßlichen Tatorts war die Jacke seines Bruders gefunden worden. Hatte sie doch recht gehabt? Ging es um Brudermord, wie bei Kain und Abel?
In diesem Moment kam Kathi herein. Sie sah schlecht aus, wobei sie natürlich nie wirklich schlecht aussah. Aber sie hatte schwarze Schatten unter den Augen und wirkte nervös.
Irmi sah sie prüfend an. »Alles klar bei dir?«
»Ja, hab nur schlecht geschlafen!« Kathi trug ihre Emotionen wie auf einen Wappenschild gepunzt vor sich her – sie war definitiv keine gute Schauspielerin. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr, und diesmal hatte es nichts mit Soferl zu tun.
Bis heute hatte Irmi sie wegen des angeblichen Schwimmbadbesuchs nicht zur Rede gestellt. Es ging um einen Mann, um das zu erkennen, musste Irmi keine große Prophetin sein. Kathi verschliss reihenweise Männer, dabei hatte ihre emotionale Beteiligung bisher jedoch immer unter null gelegen. Sie war beziehungsunfähig und schien sich an allen Männern dieser Welt rächen zu wollen. Sie alle mussten für Sophias Vater büßen, der Kathi seinerzeit auf übelste Weise hintergangen und mit dem Baby hatte sitzen lassen. Zumindest war das Irmis laienpsychologische Einschätzung, aber sie hatte wahrlich nicht vor, Kathi zu therapieren.
Stattdessen erkundigte sie sich: »Wie war denn der Ausflug gestern?«
»Ich war mit Sophia in Innsbruck, sie wollte mit der neuen Hungerburgbahn fahren«, erzählte Kathi.
Irmi fühlte sich bemüßigt nachzufragen. Sie spürte, dass Kathi sich und der Welt beweisen wollte, dass sie eine gute Mutter war, obwohl sie voll berufstätig war und die Kleine meist von ihrer Oma versorgt wurde. Sophia konnte Kathis ruppige Art gut einordnen und wegstecken, und sie hatte mit ihrer jungen Mutter natürlich viel Spaß. Außerdem war sie stolz auf ihre hübsche und modische Mama, die einen so coolen Beruf hatte. Was Sophia jedem erzählte, bloß nicht ihrer Mutter.
»Aha, und wie war's? Ich hab die Bahn nur im Bau gesehen. Die hat auch diese Stararchitektin Zaha Hadid gebaut, oder? Wie die neue Schanze in Igls?«
»Ja, und die Architektur ist wirklich sagenhaft. Über den Fluss spannt sich eine S-förmige Schrägseilbrücke, und die Stationen mit ihren Dachschalen aus Glas nehmen Bezug auf Gletscher und Eis. Ich finde das sehr kühn und sehr gelungen. Sophia war allerdings eher von den Zahlen beeindruckt. Eine Steilheit von 46 Prozent, wo der Zirler Berg doch bloß 15 Prozent hat. Sophia ist eh enorm gut in Mathe, und mit einer Bulldogfahrt machst du ihr mehr Freude als mit Ponyreiten.«
»Ist doch prima, dann wird sie mal eine der wenigen Frauen sein, die ein Ingenieurstudium zu Ende machen.«
Irmi lächelte ihr zu und war wieder einmal überrascht, wie schnell sich die Stimmungen ihrer Kollegin änderten. Kathi war hochintelligent und gebildet, und Irmi verstand nie so genau, warum sie sich selbst viel lieber die Attitüde von Proletentum gab. Warum sie Cliquen bevorzugte, die weit unter ihren eigenen intellektuellen Möglichkeiten lagen.
»Ja, oder Uniprofessorin!« Kathi lachte auf. »Was überleitet zu dem, worum es eigentlich geht. Ich hab in Innsbruck einen Onkel oder besser gesagt Nennonkel, der an der Uni ist. Fritz ist Militärhistoriker, der Spezialist für die Dolomitenfront, für Bergkampf, und auch ganz aktuell einer der Gurus, wenn es um Kriege im Gebirge geht wie zum Beispiel Afghanistan, oder. Und dem hab ich mal die Jacke mitgebracht.«
»Wann?« Irmi kapierte das nicht so richtig.
»Ich hab sie am Samstag aus deinem Büro genommen und dann wieder hingelegt, als wir abends retour kamen.«
Das war zwar eigenmächtig, aber clever. Irmi sagte nichts.
Kathi fuhr fort: »Fritz war ziemlich erstaunt, aber auch alarmiert. Er sagt, das seien Prototypen. Jacken in der Erprobungsphase aus einem völlig neuen Material. Dieses GPS ist auch neuartig. Es ist nämlich ein Gerät, das auch sendet. Du musst dir das wie eine Kombination aus hochsensiblem Lawinenpiepser und GPS vorstellen.
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