Mord im Dirnenhaus
noch einmal um und nestelte einen kleinen Salbentiegel aus ihrer Gürteltasche hervor, «für deine Hände.» Sie reichte Ludmilla den Tiegel, den diese widerwillig entgegennahm und scheinbar achtlos beiseitelegte. «Die Salbe brennt ein wenig, aber sie wird helfen, deine Finger zu heilen. Benutze sie!» Beschwörend blickte Adelina der Alten in die Augen, dann wandte sie sich wieder um.
Neklas folgte Adelina zur Tür, und als Pitter ihnen öffnete, traten sie schweigend auf den Gang und folgten ihm zu der Zelle, in der die Dirnen eingesperrt waren.
«Sie hat die Hoffnung aufgegeben.» Adelina hob verzagt die Schultern.
«Sie ist eine alte Frau», meinte Neklas. «Viel länger hält sie es in dieser Zelle nicht aus.»
«Wünsche viel Vergnügen bei den Damen», unterbrach Pitter ihn und schob den Riegel zurück.
In der Zelle, die nicht größer war als Ludmillas, kauerten vier Frauen auf einem zerwühlten Strohlager. Als Adelina und Neklas eintraten, drängten sie sich instinktiv zusammen.
Es herrschte ein für die Augen ermüdendes Zwielicht, denn auch hier gab es nur eine vergitterte Schießscharte als Fenster. Die Luft war muffig und verbraucht; der Fäkalieneimer stank. Zu allem Überfluss lag das Fensterchen zur Wetterseite hin und der Regen, der wieder eingesetzt hatte, wurde von heftigen Windböen hereingepeitscht. Auf dem Boden hatte sich bereits eine kleine Pfütze gebildet.
«Ich will nicht nochmal befragt werden», heulte eine der Dirnen auf, ein noch junges, und unter all dem Schmutz sogar recht hübsches, Mädchen.
«Halt den Schnabel, Elsbeth», fauchte die Frau neben ihr, die ihrer Leibesfülle nach nur die Dicke Trin sein konnte. «Das ist nicht der Folterknecht.»
«Ich bin Magister Neklas Burka», stellte Neklas sich vor. «Der städtische Medicus.»
«Der Medicus?» Die älteste der vier Frauen, wahrscheinlich die Hauswirtin des Dirnenhauses, brachte ein Lachen zustande. «Was denn, wollt Ihr uns nunetwa auch noch balsamieren? Oder uns zu Tode pflegen?»
«Ich bin hier, um mich über euren Gesundheitszustand zu informieren. Wenn ihr Arzneien braucht, werdet ihr sie bekommen.» Er sah Adelina von der Seite an, dann blickte er wieder auf die zerlumpten Frauen. «Außerdem haben wir ein paar Fragen an euch.»
«Fragen, Fragen. Immer nur Fragen!», keifte die vierte der Frauen, die offensichtlich schwanger war und damit nur Änne sein konnte. «Wie viele Fragen sollen wir denn noch beantworten? Wir wissen doch nichts!»
«Vielleicht hat man euch bisher nur die falschen Fragen gestellt», schoss Adelina zurück. Ob ihres scharfen Tons blickten die vier Dirnen überrascht auf.
«Euch kenne ich», sagte die Wirtin, Mutter Berta. «Ihr seid doch die Apothekerin vom Alter Markt. Und wenn ich mich recht entsinne, habt Ihr diesen Herrn Magister kürzlich geheiratet. Ja, ja, solche Geschichten kennt man auch in unserem Viertel. Was ist, seid Ihr zu seinem Schutz mitgekommen? Dachtet Ihr, er könnte den Reizen meiner Mädchen erliegen? Wie Ihr seht, besteht da augenblicklich keine große Gefahr.»
Adelina kniff erbost die Augen zusammen, sagte jedoch nichts. Die kleine Elsbeth begann wieder erbärmlich zu schluchzen. «Es ist alles so schrecklich! Ich will hier nicht sein. Ich hab doch dem Thönnes nichts getan.» Sie schniefte vernehmlich und barg ihr Gesicht an Trins Schulter, obgleich diese sich angewidert abwandte.
Neklas ging in die Hocke und untersuchte Elsbeths nackte, offenbar vom spanischen Stiefel geschundenen Füße. Adelina sah ihm zu und holte Wachstäfelchen und Griffel aus ihrer Gürteltasche.
«Ringelblumensalbe», sagte Neklas ohne hochzusehen. «Und etwas gegen die Entzündung am Knöchel.»
Adelina schrieb seine Anweisungen auf. Elsbeth drehte ihren Kopf ein wenig und wagte einen Blick auf den Medicus. Aus ihren Augen kullerten noch immer Tränen, doch nun schien sie ihre erste Angst zu überwinden. «Eure Hände fühlen sich schön warm an. Hier ist alles so kalt! Ich halte das nicht mehr aus. Und Thönnes ist tot, und alle glauben, ich hätte ihn vergiftet.»
Die dicke Trin gab ihr einen warnenden Rippenstoß. «Du sollst doch den Schnabel halten, du dumme Nuss!» Und zu Neklas säuselte sie mit einem Grinsen, das eher ein Abklatsch ihres sonst wohl verführerischen Lächelns war: «Wenn Ihr jemanden mit Euren Händen wärmen wollt, versucht es doch bei mir. Da werdet Ihr mehr Freude dran haben als an diesem weinerlichen Kleinkind. Und seht, was sie mit mir gemacht
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