Mord im Dirnenhaus
womöglich? Sie trat näher an eines der Regale heran. Eine Reihe Bücher und ein ganzes Arsenal seltsamer Gerätschaften wie gebogene Löffel und schnabelförmige Zangen lagen säuberlich aufgereiht vor ihr. Sie drehte sich im Kreis und musterte den Rest des Raumes und den schweren Holztisch in der Mitte, auf dem nur eine Waage und die zugehörigen Gewichte standen.
Es war in der Tat zu aufgeräumt hier. Und als sie erneut die Regale betrachtete, wurde ihr bewusst, dass eine ganze Reihe von Büchern fehlte. Welche, konnte sie nicht sagen, da sie sich nie ernsthaft dafür interessiert hatte. Doch eine ungute Ahnung stieg in ihr auf, als sie an Thomasius dachte.
Dann fiel ihr Blick auf etwas anderes. Hinter der Tür stand eine Lade, die sonst immer fest verschlossen war, nun jedoch weit offen stand. Adelina erkannte darin leere Weinkrüge und Säckchen mit getrockneten Kräutern. Hatte die Lade nicht ursprünglich ganz andere Dinge enthalten? Über der Lade waren auf Augenhöhe zwei Bretter angebracht, auf denen mindestens zwei Dutzend mit Wachs verstöpselter Flaschen standen. Sie nahm eine in die Hand und öffnete sie.
«Weingeist», murmelte sie überrascht, als ihr der scharfe Geruch in die Nase stieg. «Und so viel davon.»
Ganz offensichtlich hatte Neklas das Laboratorium nicht nur aufgeräumt, sondern auch alle Hinweise darauf verschwinden lassen, dass hier etwas anderes alsdie regulären Experimente und Herstellungsverfahren einer Apothekerin stattfanden.
Dabei war doch die Alchemie gar nicht verboten. Wenigstens nicht, solange man sich dabei nicht schwarzer Künste bediente, was bei Neklas ausgeschlossen war. Hatte sie zumindest gedacht. Doch wozu dann dieser Aufwand?
Adelina spürte, wie sich eine Gänsehaut über ihre Arme und den Rücken ausbreitete.
O ja, Neklas war ihr mehr als nur eine Erklärung schuldig!
Nachdenklich stieg Adelina die unebenen Stufen wieder hinauf und warf einen letzten Blick in die Küche. Der Hund lag noch immer unter der Ofenbank. Beim Anblick des flackernden Lichts öffnete er ein Auge und wedelte ihr leicht zu. Offenbar hatte er sich schon häuslich eingerichtet. Fine war nirgends zu sehen, doch als Adelina an Vitus’ Kammer vorbeiging, sah sie, dass die Tür einen Spalt offen stand. Die Katze lag zusammengerollt neben dem Kopf des Jungen und schlief.
Das Gewitter hatte nachgelassen, nur der Regen strömte unvermindert auf das Dach hernieder. Hoffentlich waren die Dachschindeln überall dicht. Sie ging nach oben und stellte fest, dass Neklas noch genauso dalag wie vorher. Sein Atem verriet ihr, dass er in tiefem Schlaf lag. Aufwecken würde sie ihn wahrscheinlich nicht, dennoch zog sie sich so leise wie möglich aus und schlüpfte unter die Decke. Kaum hatte sie das Licht gelöscht, als sie spürte, wie seine Hand nach ihr tastete. Sie ließ es zu, dass er sie erneut an sich zog und starrte an den dunklen Betthimmel.
Ein erneuter Donnerschlag ließ sie zusammenzucken. Der Wind wurde wieder stärker und rütteltean den Fensterläden. Aufzuckende Blitze verkündeten, dass das Unwetter offenbar zurückkam. Inmitten des Donnergrollens vernahm Adelina ein leises Schnaufen und das Tapsen von Pfoten. Der Hund quetschte sich durch den schmalen Türspalt und ging schnüffelnd einmal um das Bett herum, dann ließ er sich mit einem zufriedenen Seufzer neben Adelinas Bettseite nieder. Sie überlegte noch, ob es nicht besser sei, das Tier hinauszuwerfen, doch da war sie bereits eingeschlafen.
12
Ein spitzer Schrei weckte Adelina am folgenden Morgen. Verwirrt fuhr sie aus den Kissen auf und rieb sich die Augen. Da gellte ein zweiter Schrei, doch diesmal gefolgt von einem gackernden Lachen. Waren das Franziska und die Mädchen?
Plötzlich fiel ihr der vierbeinige Gast ein, den das gestrige Unwetter ihnen beschert hatte. Rasch stand sie auf und zog sich Unterkleid und Hausmantel über, schlüpfte in ihre Schuhe und eilte hinunter in die Küche.
Tatsächlich hockte der Hund knurrend mitten im Raum zwischen Franziska und Griet, die offenbar versucht hatten, ihn einzufangen. Mira saß betont gelangweilt am Tisch und sah ihnen dabei zu. Ihre geröteten Wangen zeugten jedoch von höchstem Vergnügen.
Als Adelina die Küche betrat, sprang das Tier auf und rannte auf sie zu. Direkt vor ihren Füßen setzte sich der Hund und wedelte mit seinem zerrupften Schwanz. Bei Tageslicht wurde noch viel deutlicher, wie dünn und zerzaust er war. Sein fast handspannenlanges Fell hatte die Farbe von
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