Mord im Garten des Sokrates
noch mein alter, humanistisch gebildeter Schuldirektor meinte, mich vor den zweifelhaften Künsten der Redekunst warnen zu müssen, als er von meiner Berufswahl erfuhr. Belegt jedoch ist Platons sprichwörtliche Traurigkeit, schon Freud hat auf seine Homosexualität hingewiesen, und Platon selbst berichtet im Dialog Phaidon , wie eine Krankheit ihn daran gehindert habe, Sokrates in seinen letzten Stunden beizustehen.
Was Platon angeht, muss ich ein weiteres Geständnis ablegen: Er ist mir während all meiner Recherchen fremd geblieben. Daher ist die Rolle, die er in dieser Erzählung spielt, kleiner, als sie ihm ursprünglich zugedacht war, und daher musste denn auch ein Verwandter den zweifelhaften Part des Mörders geben, weil nur seine Täterschaft die Passivität Platons plausibel machen konnte. Hierfür bitte ich all seine Anhänger und Bewunderer um Verzeihung, zugleich aber auch um eine Erklärung: Wieso hat Platon seinen Onkel Kritias im gleichnamigen Dialog zum Gesprächspartner des Sokrates gemacht, obwohl er die Herrschaft der Dreißig nach eigenem Bekunden ablehnte und obwohl Kritias Sokrates in Schuld verstricken wollte, als er ihm befahl, einen Athener ungesetzlich von eigener Hand zu verhaften – was Sokrates jedoch mutig verweigerte?
Freiheiten habe ich mir auch bei der Beschreibung der attischen Demokratie erlaubt, wie sie am Ende des Krieges praktiziert wurde. So wurden mittlere Verwaltungsämter, zu denen auch das Amt des Hauptmanns der Bogenschützen zu rechnen wäre, während der radikalen Demokratie nicht im Wege der Wahl, sondern im Losverfahren vergeben, was keinerlei Gewähr für die Eignung des erfolgreichen Bewerbers bot. Ich wollte für meinen Roman aber keinen zufälligen Polizeichef und bin über dieses Detail hinweggegangen. Überhaupt habe ich die Athener Volksherrschaft unkritisch gezeichnet, was gewiss nicht durchgehend gerechtfertigt ist, war sie in ihrer Außenpolitik doch sicher nicht den Werten von Frieden und Gerechtigkeit verpflichtete, die wir mit dem Begriff Demokratie heute ohne weiteres verbinden. So paradox es vielleicht klingen mag: Die Kritik, die die in diesem Punkt formuliert, ist durchaus berechtigt: Ein Bündnispartner Athens zu sein, bedeutete für die kleineren Städte Ausbeutung und Unterdrückung. Aber das scheint mir eher ein Wesensmerkmal der Hegemonie Athens zu sein, nicht der Demokratie – oder kann man glauben, ein oligarchisches Athen hätte sich anders verhalten?
Ohne der Erzählung ganz den Zauber zu nehmen, seien einige weitere Freiheiten erwähnt, die ich mir gestattet habe:
• Schon vor Alkibiades’ Rückkehr nach Athen um das Jahr 409 v. u. Z. gab es im Jahr 411 einen ersten oligarchischen Umsturz, den ich an keiner Stelle erwähne. Diese Ungenauigkeit ist schlicht der Lesbarkeit des Textes geschuldet.
• Das Amt des Hauptmanns der Bogenschützen ist nicht belegt, wird es aber in der einen oder anderen Art gegeben haben. Die Bogenschützen als Polizeitruppe sind nachgewiesen. Sie waren jedoch nur für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, nicht für die Strafverfolgung zuständig. Diese galt als reine Privatangelegenheit. Ein Gefängnis gab es gleichwohl.
• Der Areopag war das Athener Blutgericht, tagte aber, wenn ich es richtig verstanden habe, unter freiem Himmel. Ein Gerichtsgebäude gab es wohl nicht. Überliefert dagegen ist die Wasseruhr zur Begrenzung der Redezeit.
• Den Beruf des Advokaten, also dessen, der für einen anderen spricht, haben erst die Römer erfunden. In Athen war es nicht zulässig, sich vor Gericht vertreten zu lassen. Da ein Mordprozess eine reine Privatklage war, hätten Perianders Eltern den Prozess also selbst führen müssen. Das Auftreten ihres Freundes Kritias als Ankläger wäre nicht möglich gewesen.
• Der Strategenpalast befand sich unterhalb des Areopag, nicht gegenüber.
• Der Parthenon-Fries zeigt nicht die olympischen Sportarten, sondern die Panathenäen-Prozession.
• Die Agora durfte von Kindern und Jugendlichen wohl nicht besucht werden.
• Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass Kritias versucht hätte, Alkibiades mit dem Hermen-Frevel zu belasten. Wohl aber gibt es Autoren, die behaupten, auch Kritias sei wegen dieser Tat angeklagt worden.
• Die Rolle der Frau im antiken Athen war weitaus eingeschränkter, als die Person Aspasias dies vermuten lässt. Eine zumindest im Haus so selbstständig und sicher agierende Frau hätte die damalige Zeit kaum geduldet. Mir ist die eifersüchtige,
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