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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
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Strategen gewählt. Er hat die Langen Mauern wieder aufgebaut, wurde aber später wegen der Unterschlagung von Staatseigentum angeklagt. Er ist aber wohl, so hieß es, noch einmal davongekommen.
    Sokrates hatte weniger Glück. Er wurde beschuldigt, die Jugend zu verderben, und zum Tode verurteilt. Lysias soll angeboten haben, seine Verteidigungsrede zu schreiben, aber Sokrates lehnte ab. Warum, weiß ich nicht. Er hat die Richter wohl zu sehr als das genommen, was sie sein sollen, und nicht als das, was sie sind: Menschen … Ihr wisst, einer seiner Ankläger hieß Lykon. Leider habe ich nie in Erfahrung gebracht, ob es mein ehemaliger Eromenos war. Das wäre Kritias’ letzter Triumph gewesen.
    Alkibiades ging es nicht besser als seinem Lehrer. Ein Meuchelmörder hat ihn hinterrücks erdolcht. Ob der Grund hierfür in der Politik oder in der Eifersucht eines betrogenen Gatten lag, wer weiß das zu sagen?
    Xenophon dagegen wurde alt und schrieb Bücher. Platon ist mir in all den Jahren immer fremd und rätselhaft geblieben. Er ist es, ich muss es zugeben, noch heute, wenn ich auch nicht zweifle, dass er es war, der uns damals durch Sokrates hat warnen lassen. Nur ein einziges Mal fühlte ich mich ihm ein wenig näher. Das war, als ich eine Schrift von ihm in Händen hielt, die das Höhlengleichnis genannt wird. Es handelt von einer Gruppe von Menschen, die in der ewigen Dunkelheit einer Höhle gefangen sind. Sie sind gefesselt und angekettet, und so fällt ihr Blick auf eine Wand vor ihnen, wo sie stets nur Schattenspiele sehen. Niemals ist da eine Frucht oder ein Krug oder ein Baum, sondern immer nur deren Schatten, und die Höhlenbewohner vertreiben sich die Zeit damit, sie zu deuten und zu erklären. Wem das am besten gelingt, der gilt als der Klügste und Angesehenste unter ihnen.
Eines Tages wird einer der Höhlenbewohner befreit und nach oben geführt. Man weiß nicht, warum. Geblendet tritt er aus der Höhle in das Sonnenlicht. Seine Augen schmerzen und tränen. Er kann nicht wirklich sehen, aber er weiß doch: Im Licht ist die Wahrheit, in der Höhle dagegen nur ihr Schatten. Halb blind kehrt er zu seinen Kameraden zurück, um sie hinauszuführen. Sie aber weigern sich, ihm zu folgen. Am Ende schlagen sie ihn sogar tot.
Ich will das Gleichnis nicht deuten. Andere können das besser als ich. Aber eines weiß ich doch: Ich weiß, wer der Höhlenbewohner ist, der von seinen Kameraden erschlagen wird, nur weil er sie zur Wahrheit führen wollte.
Durch das Höhlengleichnis wurde ich mit Platon versöhnt. Ich war deswegen nicht böse, als mein Lieblingsenkel nach Athen zurückkehrte, um bei ihm zu studieren. Platon nennt seine Schule Akademie. Sie ist in dem Hain errichtet, in dem ich ihn einst kennengelernt habe. Meine Ahnung hat sich allerdings bewahrheitet: Niemand hat Platon je wieder lachen sehen.
Gerne würde ich euch noch von meinem Enkel erzählen. Aber ich denke, das verschieben wir auf ein andermal. Nur eines vielleicht: Er heißt nach meinem Vater, seinem Urgroßvater. Ich habe den Namen noch gar nicht erwähnt: Aristoteles.

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Nachwort
    Die Idee zu diesem Roman hatte ich im Frühsommer 2004, als ich – beinahe vierzigjährig und also fast in dem Alter, in dem sich das Schicksal eines Mannes erfüllt – mit einem Blinddarmdurchbruch im Freiburger Lorettokrankenhaus lag und dort ein Buch las, dem ich mich schon lange hatte widmen wollen: Den ersten Band von Karl Poppers Die offene Gesellschaft und ihre Feinde mit dem Titel Der Zauber Platons . Ich muss gestehen, dass mich dieses große und engagierte Plädoyer für die Demokratie innerlich zunächst unberührt ließ, vermutlich deswegen, weil Poppers pragmatische Argumente für Parlament und Rechtsstaat heute zu geläufig sind, als dass sie noch überraschen könnten. Das änderte sich aber, als ich zu den letzten Kapiteln des Buches kam, in denen Popper die näheren Lebensumstände Platons und die Umwälzungen in Athen am Ende des Peloponnesischen Krieges zeichnet und dabei nicht nur die erwähnt , jene oligarchische Streitschrift, die in meiner Erzählung eine so große Rolle spielt, sondern auch die Herrschaft der Dreißig Tyrannen in ihrer ganzen Grausamkeit und Habgier schildert. Was mich hier vor allem anderen überraschte, gefangen nahm und seitdem auch nicht mehr losließ, ist das Bild, das Kritias und seine Anhänger in der Geschichte hinterlassen haben, weil es mir archetypisch für jede Diktatur zu sein scheint: ein Bild

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