Mord im Garten des Sokrates
von Ausländerfeindlichkeit, Korruption und Brutalität, die sich hinter einer Maske von Würde und Stolz verbirgt. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet diejenigen, die in der die Würdelosigkeit der Demokratie und des ungebildeten Volkes geißeln, nach ihrer Machtergreifung nichts anderes zu tun haben, als die reichen Metöken auszuplündern und zu verfolgen – ebenso wenig, wie es ein Zufall war, dass im Dritten Reich unter dem Euphemismus der Arisierung das Vermögen der jüdischen Bevölkerung geraubt und den Parteikadern überschrieben wurde, oder es ein Zufall war, dass die Datschen der Führer des real existierenden Sozialismus mit all jenem Komfort ausgestattet waren, den die Bürger der DDR vermissten: Über die Jahrtausende hinweg die gleiche nach außen getragene Attitüde der Moral bei vollkommener innerer Korruption.
Ich befasste mich länger und ausgiebiger mit der Epoche – Xenophons Hellenika und Erinnerungen an Sokrates , Aristoteles‘ Staat der Athener und nicht zuletzt Platons Dialoge waren wertvolle Quellen – und entdeckte das hohe Niveau, welches Athen um 400 v. u. Z. erreicht hatte. Allgemeine Wehrpflicht, Ordnungspolizei, Invalidenhilfe, Müllabfuhr, Baupolizei und ein beginnendes Gerichtswesen – Institutionen, die wir mehr oder weniger unbesehen der Neuzeit zuordnen, waren im antiken Athen nicht nur schon erdacht, sondern eingerichtet.
Das rätselhafte Pamphlet der , dessen Autor bis heute unbekannt geblieben ist, die Finanzierung der spartanischen Flotte durch Persien, der Sturz der Demokratie am Ende des Krieges, die Dreißig Tyrannen – der Stoff drängte sich auf und fand mich mehr, als dass ich ihn gesucht hätte. Ich konnte gar nicht anders, als genau hierüber einen Roman zu schreiben. Darin wollte ich die Blüte Athens mit ihren Errungenschaften in Kultur und Verwaltung ebenso vorführen wie die Abgründe des Verrats am eigenen Volk, zu dem sich die Dreißig Tyrannen wie alle späteren Diktatoren haben hinreißen lassen. Diesem Wunsch entsprechend ist die Kulisse, vor der der Roman spielt, so wahrhaftig, wie dies meine Recherchen und die Gesetzmäßigkeiten des Genres zuließen. Die Politiker Kritias, Thrasybulos und Alkibiades – zum Teil auch Charmides – sind nach historischen Quellen beschrieben, wenn auch mit jenen menschlichen oder allzumenschlichen Eigenschaften bedacht, die den meisten Quellen nicht zu entnehmen sind. Die Schilderung der Verwaltung Athens mit Vollversammlung, Rat, Archonten, Polizei und Gerichten, Behindertenrenten und organisierter Müllabfuhr ist belegbar und insbesondere Aristoteles’ kleiner Schrift Der Staat der Athener entnommen. Und natürlich haben auch die in dem Roman erwähnten Philosophen und Schriftsteller, Ärzte und Redner in Athen gelebt, wenn auch nicht zwingend in den Jahren 408 bis 404 v. u. Z., in denen die Handlung dieser Erzählung spielt. Selbst Glaukon, Platons Bruder, dem in diesem Buch eine eher unrühmliche Rolle zukommt, ist bei Xenophon erwähnt und schon von ihm als Aufschneider charakterisiert. Im weiteren Anhang findet sich ein Verzeichnis, das die Lebensdaten der realen Personen benennt, die in dieser Erzählung erwähnt sind, und Dichtung und Wahrheit weiter scheidet.
Trotzdem bleibt das Buch ein Roman. Die Geschichte um den Mord an einem Olympiasieger ist also ebenso erfunden wie die im Vordergrund der Handlung agierenden Figuren Nikomachos, Aspasia, Raios, Anaxos, Lykon, Chilon, Bias usw. Sie habe ich, so gut ich dies eben vermochte, mit dem Bild der Geschichte verwoben, wie es vor meinem inneren Auge stand. Wo genau die Nahtlinie im Einzelfall verläuft, ist dabei manchmal nur schwer zu entscheiden. So ist beispielsweise gesichert, dass Sparta seine Flotte tatsächlich nur mit persischem Geld bauen konnte, und es wird vermutet, dass aristokratische Kreise in Athen dabei geholfen haben. Wo beginnt dann die Fiktion, wenn ich die erste Ankunft persischer Bankiers in Athen schildere, die das Geschäft der Finanzierung besprechen wollen?
Auch bei der Beschreibung realer Personen habe ich mir Freiheiten erlaubt, und die Charakterisierung Platons ist gewiss die Ungehörigste von allen. Ich bekenne frei, dass es keinen Beleg dafür gibt, dass der große Philosoph je gelispelt hätte. Ich habe mir diesen Scherz erlaubt, weil Platon die Vorgänger meines bürgerlichen Berufes – ich bin Anwalt und also in gewisser Weise Kollege der Rhetoren und Logographen – in seinen Dialogen immer wieder so massiv angreift, dass
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