Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
Vom Netzwerk:
solche Versprechen vergisst sie nie. Du hast sie ja kennengelernt», antwortete er.
«Sie scheint sich um das Haus zu kümmern», sagte ich anerkennend. «Es ist gut, wenn eine Frau tatkräftig ist und auf das Haus hält, in dem sie lebt.»
«Ja, sicher», bestätigte Sokrates, aber er klang nicht wirklich überzeugt.
Wir hatten die Agora hinter uns gelassen und gingen weiter zur Akropolis hinauf, als ich aus meinem Harnisch eine der Kopien des ominösen Schriftstückes zog, die Myson gefertigt hatte.
«Hast du das schon einmal gesehen?», fragte ich und gab Sokrates die Rolle.
Er nahm den Papyrus und las die ersten Zeilen halblaut vor. Er war gerade an der Stelle angelangt, an welcher der unbekannte Autor feststellt, die Armut treibe das Volk in das Verbrechen, als er nickte und mir das Blatt zurückgab.
«Ja», sagte Sokrates, «ich habe das schon einmal gelesen – in einem Buch, das Periander mir gegeben hat. »
«In einem Buch», wiederholte ich, «dann kennst du den Autor?»
«Nein, leider nicht», entgegnete er. «Ich habe Periander seinerzeit nach dem Autor gefragt, aber er sagte, er wisse selbst nicht, wer es geschrieben habe.»
«Das hast du ihm geglaubt?»
«Ja, habe ich. Das Buch ist ja nicht gerade dazu angetan, den Verfasser bei jedermann beliebt zu machen.»
«Worum geht es denn?»
«Wenn du das hier gelesen hast, dann kennst du es schon. Es verteufelt die Schifffahrt, die Fremden in der Stadt und alles, was Athen in den letzten fünfzig Jahren hervorgebracht hat, vor allem aber die Demokratie. »
«Eine oligarchische Streitschrift?»
«Ja», bestätigte Sokrates.
«Sie scheint dich nicht sehr überzeugt zu haben?», fragte ich vorsichtig.
«Nein», erwiderte er, «nein, hat sie nicht. Einiges hat der Autor ganz richtig erkannt, aber seine Schlussfolgerungen sind abstoßend. Hier der letzte Satz ist das beste Beispiel: ‹Die Armut muss es ins Verbrechen treiben.› Das ist einfach empörend. Wie viele arme Menschen gibt es denn, die nichts anderes tun, als zu arbeiten und ihre Kinder großzuziehen, ohne jemals irgendjemandem zu schaden? Die treibt die Armut nicht ins Verbrechen. Wenn die Armut aber wirklich einige Menschen zum Verbrechen führt, was ja sein kann – denn wenn man Hunger hat, hat man Hunger –, müsste man dann nicht etwas gegen die Armut selbst unternehmen?»
«Sicher», antwortete ich.
«Das drängt sich auf», meinte Sokrates, «aber dieser Autor zieht den Schluss noch nicht einmal in Erwägung. Armut und Reichtum sind für ihn unabänderlich. Woraus ich übrigens schließe, dass er reich ist.»
Ich lachte. Sokrates fuhr fort: «Ich kann mich erinnern, wie er an einer Stelle erwähnt, wir seien in Athen auf Fremde angewiesen, um Handel zu treiben. Deswegen seien die Metöken von den Gesetzen geschützt, während man in Sparta jeden Fremden gefahrlos schlagen dürfe. Diese Beobachtung ist gar nicht falsch, aber die Folgerung ist doch ungeheuerlich. Als ob es eine Tugend wäre, überhaupt jemanden zu schlagen! Er sieht nicht, was Athen hervorgebracht hat: einen Phidias, einen Sophokles; Athen kann sogar einen so komischen Alten wie mich ertragen. Aus Sparta dagegen kommt nichts außer neuen Kampfformationen.»
Während Sokrates sprach, war die Straße zur Akropolis hin steil geworden und die Luft stickiger. Sokrates war von der Hitze und dem Weg aber völlig unbeeindruckt. Bald hatten wir den Areopag hinter uns gelassen und gingen um den Berg herum, um zu der großen Treppe zu kommen, die zu den Propyläen hinaufführt. Dieser Weg ist schattig, Zypressen und Kiefern säumen ihn bis zum Aufgang des Akropolis-Tors. Sokrates sprach nicht mehr und schien wieder ganz in sich gekehrt. Ich dachte darüber nach, was er über dieses Pamphlet gesagt hatte. Wir blieben still, bis wir auf die Treppe traten. Dort brannte die Sonne wieder in voller Glut, und wir beeilten uns, hinaufzukommen. Gleich vor den Propyläen zeigte Sokrates auf die Hermesfigur, die die Besucher als Schutzgeist des Tores empfängt, und fragte mich, wie sie mir gefalle.
«Sehr gut, ein hübscher Bursche» erwiderte ich, was Sokrates freute. Er selbst hatte die Statue gefertigt, als er noch Bildhauer in der Werkstatt seines Vaters war, wie er mir gestand.
Wir durchmaßen das Tor mit seinen Hallen – Sokrates viel leichtfüßiger als ich –, und endlich erschloss sich der Parthenon vollkommen unserem Blick. Blau schimmerte sein Fries in der Sonne. Er zeigte die olympischen Sportarten in leuchtendsten Farben: das Pferde- und

Weitere Kostenlose Bücher