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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
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Oberkörper in sich zusammen, bis dieser kräftige junge Mann endlich seitlich von der Bank kippte. Krampfend und zitternd schlug er auf, ohne dass er überhaupt nur versucht hätte, den Sturz aufzufangen. Ich hatte Angst, er würde sich die Zunge abbeißen, und steckte ihm den Papyrus mit dem Leseholz quer in den Mund. Platons Zähne bohrten sich in das Blatt, während seine Beine wie Trommelstöcke auf den Boden einschlugen. Ich brüllte ihn an und gab ihm zwei Ohrfeigen, um ihn aus jenem Reich zwischen Leben und Tod zurückzuholen, in das er getreten war, aber er reagierte nicht.
Ich hielt ihn fest gegen den Boden gepresst, bis das schreckliche Zittern nachließ, auch wenn sich seine Muskeln nicht entspannten. Sobald ich ihn für einen Augenblick loslassen konnte, rannte ich in das Häuschen, wo ich zum Glück gleich einen Krug mit Wasser fand. Das schüttete ich dem attischen Prinzen mit Wucht ins Gesicht und brüllte ihn laut und verzweifelt an. Jetzt erst schien der Krampf sich zu lösen, der diesen Körper so gnadenlos in seiner Gewalt gehalten hatte. In Platons Augen trat die Iris wieder hervor. Er sah mich an, erkannte mich aber nicht. Er lag matt in der Wasserlache und kam erst langsam wieder zu sich. Als ihm klar wurde, dass er auf schmutzigem Boden lag, versuchte er sich aufzurichten. Er fiel aber gleich zurück.
«Was ist geschehen?», fragte er.
«Du hattest einen Krampf», entgegnete ich.
«Ja?», sagte er abwesend, während er noch einmal versuchte, sich aufzurichten. Er bewegte sich unbeholfen, fast wie ein Käfer, der auf den Rücken gefallen ist. Als es ihm endlich gelungen war, sich wenigstens auf den Ellbogen zu stützen, sah er mich wieder an. Erst jetzt erinnerte er sich allmählich, wer ich war.
«Du bist Nikomachos, nicht?», fragte er.
«Ja», bestätigte ich.
Er nickte zaghaft, und sofort stiegen ihm wieder die Tränen in die Augen. Ich selbst war völlig außer mir, trotzdem wollte ich ihn nicht so leicht davonkommen lassen. Ich zeigte auf die Papyrusrolle, die er zerkaut und ausgespuckt hatte. «Du bleibst dabei, dass du dieses Schriftstück nicht kennst und nie gelesen hast?», fragte ich so streng ich nur konnte. Platon besann sich. Als er den Kopf abwandte, wusste ich, dass ihm wieder eingefallen war, was ich ihm über diesen Papyrus gesagt hatte.
«Ich bleibe dabei», antwortete er matt und richtete sich nun auf. Er wusste, dass ich ihm nicht glaubte, aber er gab sich keine Mühe, mich zu überzeugen. Warum log er? Was hatte es mit diesem Pamphlet nur auf sich?
«Ich bitte dich, geh jetzt», sagte er, als er wieder Herr seiner selbst war und mir ins Gesicht sehen konnte, ohne gleich wieder in Tränen auszubrechen. «Ich muss mich ausruhen und erholen.»
Hätte da nicht ein Neffe von Kritias vor mir gesessen, ich hätte mich nicht so leicht wegschicken lassen. Aber plötzlich durchzuckte wieder jener stechende Schmerz meine Rippen, und ich sah die beiden Schläger vor mir. Ich hatte Angst, ich gebe es zu. Für einen Augenblick zögerte ich, dann stand ich auf und ging zu meinem Pferd. Wer wusste denn, wie weit der Arm dieser Familie reichte? Es war gefährlich, ihr zu nahe zu kommen. Platon erhob sich langsam und elend. In dem Moment fiel mir ein, was mich in seinem Gesicht schon zu Beginn unserer Begegnung an Perianders Vater erinnert hatte: es war die gleiche Trauer in seinen Zügen, ein so tiefer Schmerz, dass er diesen Menschen nie wieder ganz verlassen würde. «Wenn du dich besinnst, findest du mich in der Kaserne der Toxotai», rief ich ihm zum Abschied zu. Platon hob aber nur die Hand, und ich wusste nicht, was diese Geste bedeuten mochte. Dann saß ich auf und ließ den Hain hinter mir.
Es ging zurück in die Stadt. Ich verstand Platon nicht. Er hatte Periander geliebt, dessen war ich mir sicher. Wieso half er mir nicht, wenn es darum ging, seinen Mörder zu finden? War etwa doch Periander der Urheber der Schrift, und wollte Platon dies verbergen, um sein Andenken nicht zu beflecken, oder schützte er einen anderen? Das waren die Fragen, die mich umtrieben, auf die ich aber keine Antwort fand.
So kam ich in der Kaserne an, wo Myson eine weitere Nachricht für mich bereithielt. Es ging Schlag auf Schlag: Die Männer hatten einen stadtbekannten Hehler ausfindig gemacht, dem Perianders Ring gestern zum Kauf angeboten worden war. Er hatte wohl abgelehnt, sicher mehr aus der angeborenen Vorsicht des Betrügers als aus einem anderen Grund heraus. Den Namen des Verkäufers kannte er

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