Mord im Garten des Sokrates
nicht oder wollte ihn nicht kennen. Aber immerhin: der Ring kursierte. Er suchte einen Käufer, und fanden wir den Ring, so hatten wir vielleicht auch den Mörder. Der nächste Vormittag gehörte Anaxos, dem Herrn der Spione, der mich – kaum war ich gemeldet – in seinem dunklen Zimmer hinter der Kanzlei empfing. Er saß an seinem großen Tisch, die feuchten Augen auf ein Papyrus gerichtet, das aufgerollt vor ihm lag. Die Lichter der Lampen rußten und flackerten wie vor drei Tagen. Der Raum roch muffig nach dem Staub der Schriftrollen und den Ausdünstungen dieses Mannes. Anaxos deutete mit einer Bewegung seines Kinns auf den Schemel, und ich setzte mich. Dann sollte ich sprechen.
Teilnahmslos lauschte er meinem Bericht. Er unterbrach mich kein einziges Mal, aber er verriet auch nicht das geringste Interesse. Ich erklärte ihm, wie Periander gestorben war, zeigte ihm den Papyrus aus dem Rachen des jungen Olympiasiegers, erwähnte den fehlenden Ring und die Nachricht, er sei zum Kauf angeboten worden. Ich berichtete, wie ich überfallen und zusammengeschlagen worden war – Anaxos zeigte keine Regung –, schilderte meine Treffen mit Kritias, Sokrates, Charmides und Platon und vergaß auch den Streit, den das alte Weib am Tor gehört zu haben glaubte, nicht. Nur meine Begegnung mit Thrasybulos verschwieg ich vorsichtshalber. Sicher hatten er und seine Freunde einen Vertrauten hier im Strategion, vielleicht sogar in der Kanzlei, und ich war wenig geneigt, Anaxos auf diesen Mann aufmerksam zu machen. Nichts schätzen Spione weniger, als selbst ausspioniert zu werden, obwohl man einem anderen ja kaum das vorwerfen kann, was man selbst nicht lässt. In diesem Punkte sind diese Männer aber empfindlich und den treulosen Liebhabern ähnlich, die dem eigenen Geliebten nicht den geringsten Fehltritt verzeihen. Anaxos sagte auch dann noch nichts, als ich mit meinem Bericht zum Ende gekommen war, kaum deutete er ein Nicken an.
Dachte er über meine Beobachtungen nach, oder war sein Geist mit etwas anderem beschäftigt? Ich vermochte es nicht zu sagen. Schließlich nahm er den Papyrus, den ich ihm überreicht hatte, und betrachtete ihn sehr lange. Er las ihn sicher zweimal halblaut vor, dann schien er sich an etwas zu erinnern. «Ich kenne das», sagte er ganz ruhig, kaum an mich gewandt, erhob sich und ging mit schleifendem Schritt aus dem dunklen Zimmer. Ich wartete gespannt und blieb unbeweglich auf meinem einfachen Hocker sitzen. Wieso ließ Anaxos mich hier allein? Trug er keine Sorge um die Geheimnisse, die sich in den Schriftrollen verbargen – Geheimnisse, die nicht einmal die Sonne erblicken durfte? Oder brachte er mich absichtlich in Versuchung und beobachtete mich durch ein unsichtbares Loch in der Wand, um zu erkunden, ob ich der Verlockung erliegen würde, eines dieser Bücher zu entrollen? Ich blieb sitzen und wartete …
Als Anaxos zurückkehrte, hielt er eine weitere Buchrolle unter dem Arm. Er zögerte noch einen Moment, bevor er sie mir gab, so als überlegte er, ob er sich auf mich verlassen konnte, dann aber hielt er sie mir scheinbar kurzentschlossen hin. Es war eine schlechte, eine billige Kopie. Der Papyrus und die Schrift waren nicht von der gleichen Art wie das Blatt, an welchem Periander so jämmerlich gestorben war, aber es bestand kein Zweifel: Ich hatte es hier mit der gleichen Streitschrift zu tun. Wahrscheinlich hatte einer seiner Spione diese Rolle in aller Heimlichkeit nachts stehlen und abschreiben müssen, daher die vielen Fehler und Unklarheiten.
Ich kann nicht billigen, dass die Athener die Staatsform gewählt haben, die sie nun einmal haben …
Die Einleitung kannte ich, ich überflog sie bis zu der Stelle, die behauptet, die Armut führe das Volk zum Verbrechen. Dann las ich aufmerksamer, was in dem Zwielicht, das den Raum erfüllte, nicht einfach war. Es begannen mir sogar die Augen zu tränen; hiervon musste Anaxos dieses Leiden haben.
Der Verfasser ging in drei Kapiteln daran, die Demokratie Athens anzugreifen: Eine Herrschaft des Pöbels über die Edlen sei sie, ebenso korrupt wie der Pöbel selbst; eine Regierungsart, die lieber seine Bundesgenossen ausbeute, als die Fremden und Sklaven im eigenen Land an die Kandare zu nehmen, wie die es verdienten. Und warum? Weil man die Fremden für den Handel brauche und es den Sklaven so gut gehe, dass man sie nicht von einem Bürger unterscheiden könne. Schlage man das Pack, so laufe man Gefahr, einen Athener zu erwischen.
In Sparta
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