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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
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Ich wollte mich aber nicht so schnell vertreiben lassen. Da gab es noch etwas, was mich beschäftigte. Es lag in Piräus vor Anker.
«Entschuldige, edler Anaxos, wenn ich dich das frage», begann ich nun dieses andere Thema, «vorgestern ist ein persischer Rah-Segler im Handelshafen Kantharos eingelaufen. Der Kapitän zeigte mir einen Passierschein, den Alkibiades selbst unterzeichnet hat. Weißt du etwas darüber?»
Anaxos blickte von seinem Tisch auf. Seine Lider zuckten. Er war überrascht, für einen Augenblick konnte er es nicht verbergen, noch nicht einmal er. Es blieb also auch ihm manches verborgen, das zu wissen sich sicher gelohnt hätte. Ich lächelte Anaxos unschuldig an, und er verlieh seinem Gesicht wieder den gleichen unbeteiligten Ausdruck, mit dem er mir bei meinem Bericht zugehört hatte.
«Diese Dinge betreffen dich nicht», gab er mir zur Antwort. Er konnte nicht zugeben, dass er nichts von Alkibiades’ Passierschein wusste. Das musste seine Art der Eitelkeit sein.
Ich verabschiedete mich von Anaxos mit dem Versprechen, in drei Tagen wiederzukommen und meinen nächsten Bericht vorzutragen. Sicher würde er sich in den nächsten Stunden damit beschäftigen, herauszufinden, was es mit dem fremden Schiff im Hafen und – mehr noch – was es mit den von seinem Herrn ausgefüllten Pässen auf sich hatte.
Es war hellster Mittag, als ich das Strategion verließ. Geblendet blieb ich unter dem Marmorgiebel stehen und schirmte meine Augen vor der Sonne ab. Vor dem Gerichtsgebäude am Areopag versammelten sich die Richter in den festlichen Gewändern, die sie nur am Gerichtstag trugen. Das Purpur und Gold ihrer Mäntel zeugte vom Blutgericht, das sie heute hielten. Brandstiftung und Mord, diese beiden Anklagen waren immer noch Sache dieses Gerichtes, das früher das einzige gewesen war – eine Erinnerung an die frühere Macht dieses Rates, die man ihm gerade noch gönnte. Heute war eine Verhandlung wegen Brandstiftung zu führen; ich wusste um den Fall. Unter den Richtern erkannte ich Kritias, der mich aber nicht sah oder vielleicht auch nicht sehen wollte. Auch er war in einen festlichen Chlamys gekleidet. Das Mantelende hatte er feierlich um die Schulter geworfen. Was tat er hier? Er gehörte nicht zu den Richtern, aber es mochte sein, dass er die Anklage vertrat. Er galt als großer Redner. Offenbar war dies das Publikum, zu dem er sprach, denn nie meldete er sich bei den Vollversammlungen zu Wort. Er verachtete das Volk zu sehr, das er hätte überzeugen müssen. Selbst jetzt, da er sich unter seinesgleichen befand, blieb sein Gesicht abweisend. Offenbar konnten nur hübsche Knaben seinen Lippen ein Lächeln entlocken.
Und da, plötzlich und unvermittelt, lächelten diese Lippen. Ich folgte seinem Blick und sah, wie kein anderer als Lykon über den Platz in unsere Richtung lief, den Kopf gesenkt, die Hände in die Hüften gestemmt. Als Lykon aufsah, war es mir, als hätte er Kritias und mich gleichzeitig erkannt. Seine Hand hob sich zum Gruß an uns beide, aber er lief auf mich zu, während Kritias ihm langsam den Rücken zukehrte und wieder in das Gerichtsgebäude ging.
«Hallo Niko, ich habe dich gesucht», begrüßte mich Lykon und küsste mich auf die Wange.
«So ging es mir in den letzten Tagen mit dir», sagte ich. «Wo bist du gewesen?»
«Zu Hause, Niko. Ich war ein wenig krank», antwortete er.
«Krank? Wie das?»
«Ich hatte Fieber. Nichts Ernstes. Jetzt geht es mir wieder gut.» «Deswegen warst du so müde, als wir uns das letzte Mal gesehen haben», mutmaßte ich.
«Ja, ich fühlte mich nicht wohl», sagte er mit einem eigentümlichen Klang in seiner Stimme.
Ich legte meinen Arm um Lykons Schultern und ging mit ihm über den Platz in Richtung Akropolis.
«Woher wusstest du, wo ich bin?», fragte ich ihn.
«Ich wusste es nicht», antwortete er ein wenig stockend. «Ich habe dich in der Kaserne gesucht. Du warst nicht dort, und ich dachte, heute ist der dritte Tag. Du musst wieder im Strategion sein.»
Wir gingen mit ruhigen Schritten weiter über den verlassenen Platz. Die Athener hatten sich zum Mittagsmahl in ihre Häuser begeben. Hinter uns folgten die Richter Kritias’ Beispiel und gingen in das Gebäude zurück. Der Lehmboden zu unseren Füßen glühte, die Luft flirrte. Das war nicht die Tageszeit für Spaziergänge in der Sonne. Schon bemerkte ich, wie mir die Hitze den Atem nahm.
Zwischen Areopag und Akropolis stand ein winziges Kiefernwäldchen, das ein wenig Schatten versprach.

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