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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
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würde dein Sklave mich fürchten! In Athen hat man für ihn sogar die Redefreiheit eingeführt.
    Und so ging das weiter. Eid- und Vertragsbruch warf er Athen vor, Untreue, Raffgier und Faulheit. Es war so, wie Sokrates das Pamphlet beschrieben hatte. Sein Verfasser war außer sich vor Zorn. Kaum hatte er die Verfassung Athens mit ein paar Zeilen beschrieben, fiel er auch schon über sie her. Am Ende schien das Buch weniger mit Tinte als mit dem Geifer eines tollwütigen Hundes geschrieben.
    «Kennst du den Autor?», fragte ich Anaxos, als ich beim letzten Satz angelangt war. Ich hatte nicht allzu lange gebraucht, um die Schrift ganz zu lesen.
    «Nein», antwortete er mit seiner melodiösen Stimme, «wir haben das Buch schon vor einigen Jahren bekommen, aber nie herausgefunden, wer es geschrieben hat. Es geht wohl bei den Oligarchen von Hand zu Hand. Einer meiner Leute hat es heimlich kopiert, wie du dir sicher bereits gedacht hast. Aber auch der Eigentümer des Originals, von dem wir die Abschrift genommen haben, kannte den Verfasser nicht.»
    «Bist du dir sicher?», fragte ich nach.
«Wirklich sicher kann man sich nie sein», entgegnete Anaxos. «Aber er war nur eine Randfigur der oligarchischen Bewegung und spielte keine große Rolle in diesem Kreis. Ein kleiner Geldwechsler, der es zu einem gewissen Wohlstand, aber nicht zu Reichtum gebracht hatte und mehr zur Aristokratie gehören wollte, als dass diese ihn aufzunehmen bereit war. Es erschien uns glaubhaft, dass man ihm nicht gesagt hatte, von wem die Schrift stammt. Ich denke ohnehin, dass nur eine sehr kleine Gruppe weiß, wer sie geschrieben hat. Es war uns damals aber auch nicht so wichtig.»
«Wieso sagst du ‹spielte›? Was ist mit ihm?»
«Er ist gestorben. Ein natürlicher Tod, soweit ich weiß», antwortete er.
«Wie hieß er?», wollte ich wissen.
Anaxos tat so, als habe er die Frage überhört. Er erhob sich und kam um den Tisch herum zu mir. Sein Geruch stieß mich ab.
«Ich dachte, Periander selbst könnte der Autor sein», sprach ich weiter. «Aber wenn du sagst, es gebe das Pamphlet schon seit einigen Jahren, dann ist das ausgeschlossen. Was ist mit Kritias? Auch von ihm hört man, er schreibe.»
Anaxos Gesicht bleib unbewegt. Er trat noch näher zu mir. Schon fühlte ich seinen Atem auf meiner Haut.
«Du musst sehr vorsichtig sein, Nikomachos», sagte er mit der sanften Stimme, die ihm zu eigen war, und sah mir dabei unmittelbar in die Augen. «In den Kreisen, mit denen du es hier zu tun hast, droht dir größte Gefahr. Hast du schon mit irgendjemandem über den Papyrus gesprochen?»
«Nein», log ich mit trockenem Mund; Anaxos schien mir plötzlich ein Dämon der Angst zu sein.
«Erwähntest du nicht, du hättest es kopieren lassen?», fragte er mit seiner süßen Stimme. Er hatte mir also doch mit viel größerer Aufmerksamkeit zugehört, als ich vermutet hatte.
«Ja, von Myson, unserem Schreiber», gestand ich, «aber er ist zuverlässig. Du kannst ihm vertrauen.»
«Ja, gewiss», sagte Anaxos mit einem so kalten und ausdruckslosen Gesicht, dass ich deutlich verstand, er würde ganz sicher niemandem vertrauen, und schon gar keinem Schreiber.
«Wie viele Kopien hast du anfertigen lassen?», fragte er beiläufig, während er sich von mir abwandte und den Schriftrollen in seinen Regalen zu widmen begann.
«Nur eine, und die hat Aristokles in seinem Anfall zerbissen», antwortete ich, und diese zweite Lüge gelang mir überzeugender.
«Dann habe ich hier das Original, und die Kopie ist unbrauchbar?», fragte er, wobei er sich die größte Mühe gab, angestrengt und scheinbar interessiert zwischen den Schriftrollen nach etwas völlig anderem zu suchen.
«Ja, so ist es, Anaxos», log ich weiter.
«Gut», meinte er und drehte sich nun wieder zum Tisch, um sich zu setzen. «Und dabei sollte es auch bleiben. Sprich zu niemandem von dem Manuskript. Am besten ist es, wenn du es ganz vergisst.» Mit diesen Worten lächelte er mir freundlich zu, nicht anders als ein Onkel, der seinem Neffen einen gut gemeinten Rat erteilt.
«Auch wenn es mich zu dem Mörder Perianders führt?», fragte ich naiv. Anaxos lächelte mich nur weiter freundlich an und antwortete nicht.
Ich hätte nun gehen können. Anaxos schien mit meinem Bericht zufrieden. Seine unruhigen Augen forschten auf seinem Tisch nach etwas Neuem, und diesmal suchte er wohl tatsächlich etwas. Eine nächste Aufgabe wartete auf ihn. Er behandelte mich beinahe so, als wäre ich schon nicht mehr da.

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