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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
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Thukydides.
«Wusstest du deswegen so viel über die Schlacht von Pylos?», rief ich ihm über den Wandschirm zu. Ich hörte, wie er sich wusch.
«Ich war dabei.» Die Antwort kam erst nach einer ganzen Weile. «Ich war Bogenschütze.»
«Wirklich? Dann kanntest du Lysippos?»
«Ich bin mir nicht ganz sicher», antwortete Myson, während er in ein sauberes Tuch gehüllt hinter dem Sichtschutz hervortrat. «Wir sind mit siebzig Schiffen nach Pylos gezogen, und ich war nicht bei der Gruppe, die die Spartaner angriff. Außerdem ist das jetzt siebzehn Jahre her. Aber ich habe eine dunkle Erinnerung an einen einfachen Soldaten, der damals sein Bein verloren hat und behauptete, er habe den Anführer der Spartaner erschlagen.»
«Lysippos?»
«Vielleicht, vielleicht auch ein anderer und Lysippos erzählt nur seine Geschichte. Wer weiß das schon?» Myson ging zu einer Truhe, öffnete sie und zog unter einem ganzen Stapel von Schriftrollen ein frisches Gewand hervor.
«Man könnte meinen, du hättest ein Archiv wie Anaxos im Strategion», sagte ich scherzhaft.
«Das sind nur Kopien, die ich für mich selbst gefertigt habe. Manchmal gefällt mir ein Buch so gut, dass ich es für mich selbst noch einmal abschreibe.»
«Aber die hast nicht zufällig du abgeschrieben und für dich kopiert?», scherzte ich weiter.
«Das Pamphlet, das in Perianders Rachen gefunden wurde?», antwortete Myson erschrocken. «Wo denkst du hin, Herr? Ich bin Metöke. Ich werde doch nicht für die arbeiten, die Athen von den Fremden befreien wollen!»
«Lass nur, mein lieber Myson. Ich wollte nur einen Scherz machen. Verzeih, wenn er mir verunglückt ist.»
Myson lächelte zaghaft und ging wieder hinter den Wandschirm, wo er sich ankleidete.
«Ich wollte dich übrigens loben», rief ich ihm zu, um die Situation wieder zu entspannen. «Wie du Lysippos vernommen hast, indem du ihm erst schmeichelst und dann eine Falle stellst, das war großartig.»
Es kam keine Antwort. Stattdessen hörte ich, wie etwas taumelte und zu Boden ging und wie der Wandschirm umgeworfen wurde. Es war Myson. Er war gestürzt. Ich eilte sofort zu ihm und half ihm auf. Er zitterte, sein Gesicht war wieder kalkweiß. Lysippos’ Angriff hatte ihm augenscheinlich stärker zugesetzt, als ich dachte. Ich brachte ihn zu einem Stuhl und hielt ihn an den Armen fest, während er sich setzte. Er wirkte gealtert. Heute Morgen noch war er ein rüstiger Mann gewesen, grauhaarig zwar, reif, älter, aber doch nicht ältlich. Jetzt schien er fast ein Greis, als hätte ihn Lysippos’ Attacke Jahre gekostet, als hätte sie ihn vom Mannes- ins Greisenalter gestoßen.
Ich blieb noch eine Weile bei ihm, bis das Blut in sein Gesicht und das Leben in seine Glieder zurückgekehrt war. Dann bat er mich zu gehen und ihn allein zu lassen. Ich folgte seinem Wunsch.
Ich lief schnell zur Kaserne zurück. Die Armut und der Schmutz in diesem Viertel bedrückten mich. Ich verließ es, so rasch ich nur konnte.
Der Unteroffizier, den ich dazu abgestellt hatte, wartete geduldig vor Lysippos’ Zelle. Er war jung und stammte aus einer vornehmen Familie. Nicht reich, aber wohlhabend, nicht mächtig, aber auch nicht ohne Einfluss. Konnte ich ihm und seinesgleichen trauen? War er ein Freund der Demokratie, oder gehörte er zur anderen Seite? Sein Lederharnisch war aufwendig gearbeitet. An seinem Arm trug er einen breiten, mit Ornamenten verzierten Silberreif. Wem verdankte die Familie dieses Silber? Dem Handel? Dann war sie für die Demokratie, musste sie für die Demokratie sein. Oder war das Geld älter und stammte von den vielen sklavenbewirtschafteten Latifundien, die sich über ganz Attika erstreckten, so wie der Reichtum Kritias’ und seiner Freunde? Ich musste vorsichtig sein.
«Und was macht der tolle Hund in unserem Schlafzimmer?», fragte ich die Wache und zeigte nach der Eichentür.
«Ich habe vorhin nach ihm gesehen», antwortete mein Unteroffizier. «Er lag flach auf dem Boden, aber er atmet und seine Augen sind offen. Er stinkt wie ein Ochse.»
Ich ging hinein und fand Lysippos beinahe ebenso vor, wie wir ihn verlassen hatten. Er lag flach auf dem Bauch, inmitten der Holzsplitter, aber er lebte. Er atmete, sein schmaler Brustkorb hob und senkte sich. Die Lumpen, die Kleider darstellen sollten, waren ihm vom Oberkörper gerutscht. Ich habe nie einen ausgemergelteren Leib gesehen. Ein Hund, ja, ein Hund. Er glich einem verhungerten und bösen, einem geschlagenen und verschlagenen alten Köter.
Seine Augen

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