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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
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Myson in diesem Moment vorging, und ich habe dies später bedauert. Stattdessen demütigte ich ihn noch, indem ich ihm auftrug, dafür zu sorgen, dass Lysippos frische Gewänder und etwas zu essen und zu trinken bekam. Myson nickte gehorsam, aber seine Augen verdüsterten sich.
    Ich verließ die Kaserne. Es gab einen Menschen, den ich sehen wollte, sehen musste, und von dem ich mir Gewissheit versprach: Hippokrates von Kos. Konnte es sein, dass Periander nur zufällig an dem Knebel erstickt war?
    das asklepieion war der Treffpunkt von Ärzten und Kranken: Es liegt am Fuße der Akropolis zwischen der zu den Propyläen hinaufführenden Treppe und dem Dionysos-Theater auf einer vom Fels, dem Regen und der Zeit selbst geformten natürlichen Terrasse. Ursprünglich kaum mehr als ein Garten mit einigen heiligen Ölbäumen, einem Brunnen und einem kleinen Tempel, der dem Gott der Heilkunst geweiht war, war es mit der Zeit zu einer Pilgerstätte für alle Kranken und ihre Ärzte geworden. Der Tempel war unscheinbar, beinahe schmucklos, aber er wurde von allen verehrt und geachtet. Dort brachten die Athener die großzügigsten Opfer dar – ohne Zweifel aus Furcht vor Krankheit und Tod –, und dort begegnete man zu jeder Zeit den Ärzten, Heilern und Zauberern der Stadt. Unter der Terrasse, die sich über dem Weg zum Theater erhob, standen zahlreiche Buden, in denen die Salbenmacher und Pillendreher ihre Pasten, Tränke und Tropfen feilboten. Oft wurden die Toxotai hierher gerufen, weil diese Männer sich ständig die Kunden abspenstig zu machen versuchten und darüber in allzu derben Streit um die Wirksamkeit ihrer Ware und deren Preis geraten konnten. Wenn sie sich dann nicht nur Verwünschungen, sondern auch noch ihre Steintiegel an die Köpfe warfen, griffen wir ein.
    Hier hoffte ich Hippokrates zu treffen oder zumindest in Erfahrung zu bringen, wo er wohnte und sich aufhalten könne. Da ich nicht wusste, ob ich ihn nicht vielleicht am anderen Ende der Stadt bei einem Patienten suchen musste, sattelte ich Ariadne und ritt mit ihr durch die leeren Gassen des mittäglichen Athen. Hart und festgebacken waren die Wege; der letzte Regenschauer lag Monate zurück, und Ariadne war schon verschwitzt, als sie mich nur um den Südhang der Akropolis herum getragen hatte.
    «So sollte man mit dem Tier bei der Hitze nicht umgehen, Toxotes!», rief mir jemand zu, kaum dass ich Ariadne auf die Terrasse geführt und sie an einem Strauch gebunden hatte. Ich drehte mich um und sah einen jungen Mann unter einem Olivenbaum sitzen. Er war teuer gekleidet, aber neben ihm stand eine Amphore. Als ich näher kam, erkannte ich, dass seine Augen gerötet waren.
    «Ich danke dir für deinen Rat», antwortete ich und zeigte auf den Krug, «und möchte ihn dir gerne vergelten: Bei dieser Hitze und um diese Tageszeit sollte man auch mit sich selbst schonend umgehen und noch keinen Wein trinken, insbesondere wenn man ein Jünger des Asklepios ist!»
    «Gut gesprochen, Toxotes», erwiderte der junge Mann und führte sich die Amphore an den Mund, «am Tag zu trinken ist ungesund.» Er nahm einen tiefen Schluck. Der Wein lief ihm Kinn, Hals und Brust herunter. Ein Trunkenbold aus gutem Hause. Auch das gab es in dieser Stadt.
    Ich wollte mich nicht lange mit diesem Jungen aufhalten. Sollte er doch machen, was er wollte. Aber vielleicht wusste ja er etwas über den Mann, den ich suchte.
    «Ich suche Hippokrates von Kos», sagte ich. «Kennst du ihn und weißt du, wo er ist?»
    «Ob ich ihn kenne?», wiederholte der Jüngling lallend. «Ob ich ihn kenne?» Wieder nahm er einen Schluck. «Hast du nicht gesehen, Toxotes, dass der Himmel gestern Nacht dunkler war über dieser Stadt als sonst? Nein?»
    «Ich verstehe nicht», antwortete ich.
«Du hast es nicht gesehen!», fuhr er fort. «Du hast es nicht gesehen. Und trotzdem suchst du Hippokrates. Nun, Toxotes», schlug er einen beinahe feierlichen Ton an, «dieser Stern leuchtet nicht mehr über Athen.» Er nahm einen weiteren Schluck und leerte den Krug endgültig. Dann hielt er sich das Gefäß vor die Augen und sah wie blöde hinein, um sich zu vergewissern, dass es nun auch wirklich keinen Tropfen mehr enthielt.
«Was heißt das, sein Stern leuchtet nicht mehr über der Stadt?», wollte ich wissen. «Er ist doch nicht tot?»
«Nein, tot ist er nicht. Er ist gegangen. Er hat die Stadt verlassen», antwortete er und schleuderte die Amphore dabei im hohen Bogen von sich. Erschrocken und empört sahen einige

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