Mord im Garten des Sokrates
Männer zu uns herüber und schüttelten die Köpfe.
Diese Neuigkeit interessierte mich nun doch. Ich ging ein paar Schritte auf den Jungen zu und setzte mich zu ihm in den Schatten. Er hatte ein ebenmäßiges und kluges Gesicht, die Hautfarbe verriet, dass er nicht allzu oft in der Sonne war. Seine Züge waren fein, schüchtern, kaum in die Haut des Gesichtes gegraben, das nur wenig reifer als das Antlitz eines Knaben wirkte. Dieser Kopf wollte so gar nicht zu einem Trunkenbold passen.
«Wie heißt du?», fragte ich ihn. «Und was weißt du über Hippokrates?»
«Chilon heiße ich. Ich komme aus Piräus. Ich war Hippokrates’ Schüler während dreier Jahre», antwortete er und nickte bestimmt mit dem Kopf.
«Und wohin ist Hippokrates gegangen?», fragte ich. Chilon begann zu schluchzen wie ein Kind.
«Syrakus, Mykene … was spielt das schon für eine Rolle. Er ist fort!»
«Du bist sein Schüler, wieso hast du ihn nicht begleitet?», fragte ich den jungen Mann, denn es wäre in der Tat völlig natürlich gewesen, wenn der Lehrling dem Meister auf seinen Reisen gefolgt wäre.
«Ich kann meine Mutter nicht allein lassen», entgegnete Chilon mit schleppender Zunge. «Sie ist krank.» Er zog die Unterlippe in den Mund wie ein Kind. Sein Kopf und sein Blick schwankten. Plötzlich drehte er sich von mir weg und würgte. Augenblicklich schoss es aus ihm heraus, wie Wasser aus einem viel zu vollen Brunnenrohr. Er erbrach sich in einem roten und nach Magensäure stinkenden Schwall. Ich drehte mich weg, so schnell ich konnte, und hielt die Nase in den Wind, sonst hätte ich ihm Gesellschaft geleistet. Wenn mir von etwas übel wird, dann davon. Immer wieder hörte ich Chilon würgen und husten, immer wieder entleerte sich sein Magen. Der Wein kam ihm beinahe schneller hoch, als er ihn heruntergestürzt hatte.
«Oh Zeus, lass mich sterben», wimmerte er, aber wer hätte dieses Stoßgebet noch nicht zum Olymp gesandt, wenn der Wein bittere Rache nahm? Ich stand auf und ging ein paar Schritte auf und ab, bis das Schauspiel beendet war.
Endlich schien Chilons Magen leer. Er hustete noch ein paar Mal, aber er erbrach sich nicht mehr. Ich ging zu ihm zurück, half ihm aufzustehen und brachte ihn zum Brunnen. Das Becken führte zwar nicht mehr viel Wasser, aber es genügte, damit Chilon sich Gesicht, Nacken und Hände benetzen und den Mund ausspülen konnte. Ich griff derweil in die Steinschale, nahm etwas Wasser auf und rieb Chilons Nacken ein.
«Verzeih mir, Toxotes», entschuldigte er sich mit dem weinerlichen Ton des reuigen Säufers, «ich trinke normalerweise nicht. Ich bin Wein nicht gewöhnt.»
«Schon gut», antwortete ich und brachte ihn zu einer Bank, die weit genug von dem Ölbaum entfernt war, so dass man das Erbrochene weder sah noch roch. Vor allem den Geruch konnte ich nur schwer ertragen. Nachdem er sich gesetzt und durchgeatmet hatte – zum Glück hatte Chilons Magen dem Wein nicht viel Zeit gegeben, in den Kopf zu steigen –, brachte ich das Gespräch wieder auf Hippokrates. Was Chilon langsam, angestrengt und immer wieder von Übelkeitsattacken unterbrochen berichtete, zeigte leider allzu deutlich Anaxos’ Handschrift: Wie Chilon erzählte, war Hippokrates vor etwa einer Woche von zwei Soldaten aus dem Strategion abgeholt und zu einem Patienten gebracht worden. An sich habe Chilon ihn begleiten wollen, wie sich dies für den Schüler gehörte. Aber die Soldaten taten streng und geheimnisvoll und ließen das nicht zu. So etwas kam schon einmal vor, nicht oft, aber dann und wann, wenn irgendein reicher und mächtiger Bürger sich in eine ebenso missliche wie peinliche Situation gebracht hatte, in der er die Hilfe eines Arztes brauchte.
Die Soldaten brachten Hippokrates mit einem Zweispänner fort und später am Abend auch wieder zurück. Chilon hatte mit dem Essen auf seinen Meister gewartet. Er war gespannt zu hören, wer nach der Hilfe des Arztes gerufen hatte und warum. Normalerweise berichtete sein Lehrer ihm freimütig über jeden Patienten und jede Krankheit, aufgrund derer er konsultiert worden war. Gerade wenn es um Heimlichkeiten ging, gab es besonders viel zu lachen, denn welche Dummheiten die Menschen sich vor allem in ihrer Lust einfallen lassen, könne man sich gar nicht vorstellen. Da gab es alte Männer wiederzubeleben, die beim Liebesakt im Bordell die Besinnung verloren, Penisse zu verbinden, in die ein Tier gebissen hatte, ja, und so mancher Gegenstand, den ein feiner Herr im Spiel genutzt
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