Mord im Garten des Sokrates
überzeugt.
Der Einfall kam mir unmittelbar: «Den ersten Patienten hätte ich schon für dich. Komm heute bei Sonnenuntergang zur Kaserne der Toxotai und frage nach mir. Sage niemandem, wer oder was du bist. Du wirst jemanden zu verarzten haben.»
Chilon nickte dienstfertig und eingeschüchtert. «Und nach wem soll ich fragen? Ich meine, wie heißt du?», rief er mir nach.
«Nikomachos», antwortete ich. Dann trieb ich meine Fersen in Ariadne Flanken, und sie sprengte los wie ein von der Kette gelassener Jagdhund. Piräus, Kantharos, das war unser Ziel.
Ich verließ die Stadt durch das Henker-Tor. Um keine Zeit zu verlieren, wählte ich heute den Weg zwischen den Langen Mauern. Sobald wir das Tor hinter uns gelassen hatten, erschloss sich das gesamte Tal bis zum Saronischen Golf meinem Blick. Tiefblau leuchtete das Meer, still, ruhig und gewaltig ruhte es zwischen den Bergen. Von hier oben aus öffneten sich die Mauern und führten bis zu den Häfen herunter. Wenn Sparta das umliegende Land überfiel und zu verwüsten suchte, was während des nun schon Jahrzehnte dauernden Krieges beinahe jeden Frühling geschah, hatte ganz Attika in dieser Festung Platz und litt doch nicht Hunger. Denn was an Nahrung hier nicht wuchs, verschafften wir uns über die Häfen. Sie blieben unser Zugang zu Korn und Öl – für immer, wie wir glaubten.
Ich lockerte die Zügel und ließ Ariadne sich ihren Weg den Berg hinab selbst suchen. Kaktusfeigen, Krüppelkiefern und Steineichen säumten den felsigen Pfad. Ein paar Vögel pfiffen von den Bäumen. Eidechsen flohen aufgeschreckt vor uns und versteckten sich unter den Steinen. Der wilde Duft von Rosmarin und Thymian würzte die Luft. Kein Windhauch ließ die Blätter zittern. Unbarmherzig gleißend stand die Sonne am wolkenlosen Himmel Attikas. Mit der Sicherheit des Tieres setzte Ariadne Schritt um Schritt und Tritt um Tritt. Kein Kiesel sprang von ihren Hufen auf, keinen Augenblick geriet sie ins Rutschen. Dabei war der Weg steil und trocken genug. Aber sie wusste ihn zu gehen. Das war ihre Natur. Ich hielt mich an ihrer honigfarbenen Mähne fest und versuchte mein Gewicht so einzupendeln, dass sie die kleinste Last damit hatte. Als wir den Bergfuß erreichten und das Gelände wegsamer wurde, schnalzte ich mit der Zunge, und Ariadne schnellte davon. Im Galopp brachte sie mich nach Piräus, das geschäftig war und stank wie vor Tagen, und im Trab führte sie mich zum lärmenden Kantharos hin.
Auf dem persischen Schiff war emsiges Treiben. Einige Matrosen kletterten schon auf die Masten, um die Segel zu setzen, die anderen standen an Bord und zerrten und zurrten an den Tauen. Dazwischen stand der Kapitän in seinem blauen Gewand. Ich sah und hörte ihn schon von Weitem, denn er brüllte die Kommandos aus vollem Halse, und wenn ich auch kein einziges Wort seiner barbarischen Zunge verstand, wusste ich doch, dass er jeden einzelnen seiner Männer einen Hundsfott nannte, weil er und die anderen das Schiff nicht schnell genug aus dem Hafen brachten. Schon waren die Leinen los und die gewaltigen Riemen zu Wasser gelassen.
«Halt, Kapitän!», rief ich in das allgemeine Treiben und sprang vom Pferd. «Einen Moment nur noch. Ich komme an Bord!»
So laut und wütend der Perser seine Mannschaft zur Eile getrieben hatte, so freundlich und entspannt nickte er mir zu. Ein markiges Wort von ihm, und es wurde ein Steg für mich heruntergelassen. Ich band Ariadne an einen Pfeiler und stieg hinauf. Der Kapitän lachte und begrüßte mich mit einer leichten Verbeugung und undurchdringlicher Freundlichkeit.
«Hauptmann der Toxotai, was führt dich auf mein bescheidenes Schiff?», fragte er mit theatralischer Höflichkeit. Ich sah mich kurz um. Einige meiner Männer standen brav am Pier und bewachten das Schiff, wie ich es ihnen befohlen hatte. Ich bat den Kapitän, mit mir in die Kajüte zu gehen.
«Was hast du auf dem Herzen?», fragte er, als wir in dem stickigen Raum standen.
«Ich möchte dir etwas zurückgeben», antwortete ich und fischte den Beutel aus meinem Waffengürtel. «Hier, das Geld gehört dir. Ich habe es für dich aufbewahrt.» Ich drückte ihm den Widderhoden in die Hand.
«Du scherzt, mein edler Freund», sagte der Kapitän und betrachtete ungläubig, was ich ihm gerade gegeben hatte.
«Nein, ich scherze nicht. Es war nicht richtig, das Geld anzunehmen. Jetzt gebe ich es dir zurück», entgegnete ich. «Und ich habe noch etwas auf dem Herzen. Ich war unfreundlich zu dir, obwohl ich
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