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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
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Simons Werkstatt und dem Tholos-Gebäude vorbei. Man bereitete gerade das Mittagsmahl für die Ratsmitglieder. Als wir den Rundbau hinter uns gelassen hatten, fragte Sokrates, was ich auf dem Herzen hätte.
Ich berichtete ihm von Lysippos’ Verhaftung, von dem Trick, mit dem Myson ihn aus der Fassung gebracht hatte, von seiner Folterung und Anaxos’ Plan, ihn vor den Areopag zu bringen, wo ihn nichts anderes als der Tod erwarten konnte. Schließlich erklärte ich, wieso ich mir sicher war, dass Lysippos mit dem Mord nichts zu tun hatte. Dies alles erzählte ich bald stockend, bald in sprudelndem Wortschwall. Es war sicher kaum möglich, mir zu folgen, aber Sokrates lauschte mir stumm und aufmerksam. Er hielt mich am Arm und wich nicht von meiner Seite.
Als ich mir den Kummer von der Seele geredet hatte, standen wir vor dem Hephaistos-Tempel, zu dessen Marmorportal uns der Weg geführt hatte. Er ist auf einem kleinen Hügel gerade neben der Agora errichtet, ein Kleinod, das die Athener Schmiede dem Gott des schöpferischen Feuers gestiftet haben. Sokrates blieb stehen und sah auf den Marktplatz hinunter.
«Wieso liegt dir so viel an Lysippos?», fragte er mich nach einer Weile.
«Es liegt mir gar nichts an ihm», antwortete ich, «im Gegenteil. Er ist abstoßend und verkommen. Aber mit seinem Tod bliebe der Mord an Periander für immer ungesühnt, und es ist einfach nicht recht, ihn für etwas zu bestrafen, das ein anderer begangen hat. Auch wenn er den Tod aus anderen Gründen verdient haben mag.»
Sokrates lächelte.
«Woher weißt du das?», fragte er.
«Was?»
«Dass es nicht recht wäre, ihn für etwas zu bestrafen, was er nicht getan hat, auch wenn er den Tod verdient.»
Ich schwieg einen Moment. Die Antwort, die ich zu geben hatte, schien mir dumm, und ich schämte mich für sie.
«Ich weiß es nicht wirklich, Sokrates», antwortete ich zögernd. «Es ist mehr so, als ob es etwas in mir gäbe, das es weiß und mit mir spricht.»
Sokrates strahlte mich an. Für einen Augenblick dachte ich, er würde gleich loslachen. Aber nichts dergleichen geschah.
«Dann werden wir versuchen müssen, Lysippos zu helfen und ein ungerechtes Urteil zu verhindern», bestimmte er stattdessen.
«Und weißt du, wie wir das tun könnten?», fragte ich.
«Nun, wenn ich wissen will, wie man Schuhe repariert, dann gehe ich zu einem Schuster und frage ihn. Am besten zu Simon, denn er kennt sich mit Schuhen aus und ist mein Freund», antwortete Sokrates in der ihm eigenen Art. «Wenn du jetzt wissen willst, wie man einen Prozess gewinnt, musst du zu jemandem gehen, der sich mit Prozessen auskennt. Am besten zu Lysias …»
«Aber Lysias ist teuer», unterbrach ich Sokrates, während dieser schon losging.
«… aber auch er ist mein Freund», fuhr er gelassen fort. «Er kann uns sicher helfen.»
Unbeirrt ging Sokrates voraus. Ich beeilte mich, ihm zu folgen.
«Willst du jetzt geradewegs zu Lysias?», fragte ich, als ich ihn eingeholt hatte.
«Aber ja», antwortete Sokrates, «er ist ganz sicher zu Hause.»
Wir gingen nicht mehr zur Agora zurück, sondern wandten uns direkt zur Pnyx und folgten der Straße zum Henker-Tor. Dahinter, zwischen der nördlichen und der südlichen Langen Mauer, hatte die Stadt einigen reichen Metöken gestattet, ihre Häuser zu bauen – gegen eine hohe Sonderpacht, denn sie durften die Grundstücke, auf denen ihre Häuser standen, nicht kaufen. Dorthin wandte Sokrates seinen Schritt, nicht ohne mir ein wenig von Lysias und seiner Familie zu erzählen: Lysias’ Vater Kephalos stammte aus einer wohlhabenden Syrakuser Familie und war unter Perikles nach Athen gekommen. Über die Gründe hierfür sprach er nicht gerne. Er hatte wohl vor einer politischen Fehde fliehen müssen; selbst Sokrates wusste nichts Genaueres. Hier in Athen gründete Kephalos eine Schildermanufaktur, die ihn zu Reichtum brachte. Ihm gehörte das schönste Metöken-Haus weit und breit, und er hielt es gastlich. Lysias hatte die Geschäfte seines Vaters zwischenzeitlich übernommen, dabei aber noch eine ganz andere Neigung in sich entdeckt: er schrieb Reden, vornehmlich Gerichtsreden, und je aussichtsloser der Fall war, desto größer war auch sein Ehrgeiz.
«Du erstaunst mich immer wieder, Sokrates», sagte ich, als wir beinahe schon an Kephalos’ Haus angekommen waren. «Ich dachte immer, du seist ein Gegner der Redner und Sophisten, und jetzt nennst du einen Logographen deinen Freund.»
«Ich verstehe gar nicht, wie du das denken

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