Mord im Garten des Sokrates
konntest», antwortete Sokrates erstaunt. «Wusstest du denn nicht, dass mich die Athener einen Sophisten nennen? Ich habe nichts gegen die Redner. Platon mag sie nicht, aber das hat andere Gründe.»
«Ach ja, welche?», fragte ich erstaunt.
«Hast du es nicht bemerkt? Platon versucht es so gut er kann zu verbergen. Er hat einen kleinen Sprachfehler: Er lispelt. Eigentlich fällt es nicht weiter auf, aber wenn er vor einer größeren Menge sprechen soll, wird es stärker.»
Sokrates war im Hause des Kephalos wohlbekannt. Sofort wurden wir zu Lysias vorgelassen. Der hatte sich vor der Hitze in sein Arbeitszimmer zurückgezogen. Wir trafen ihn in einem ausladenden Raum mit hoher, blau getünchter und mit Sternen verzierter Decke. Hier saß er an einem niedrigen Tisch und blickte auf das Atrium, das man durch einen von Marmorsäulen gestützten Wanddurchbruch erreichen konnte. Als Lysias Sokrates sah, erhob er sich, ging ihm entgegen und schloss ihn in die Arme.
Lysias war ein kräftiger, nicht allzu großer Mann mit breiten Schultern und breitem Lächeln. Ein kleiner Bauch verriet seinen Hang zu gutem Essen, ein sinnlicher Mund eine Neigung zum Körperlichen und seine große, gebogene Nase die sizilianische Abstammung.
«Sokrates, was für eine Freude», sagte er und küsste ihn auf die Wangen. «Und ich sehe, du hast den Hauptmann der Bogenschützen mitgebracht, von dem man in den letzten Tagen ziemlich viel spricht in Athen.»
Er lächelte spöttisch und deutete eine elegante, aber auch ein wenig theatralische Verbeugung vor mir an. Dann bat er uns, auf zwei gepolsterten Sesseln Platz zu nehmen, bot uns mit Honig gesüßtes Wasser und einige Feigen an und fragte schließlich ziemlich geradeheraus, was wir eigentlich von ihm wollten.
«So einen Besuch erhält man selten ohne Grund», sagte er selbstsicher. «Womit kann ich dienen, meine Freunde?»
«Der große Lysias hat längst durchschaut, dass wir nicht aus reiner Freundschaft und Höflichkeit hierher gekommen sind», sagte Sokrates mit einem Seitenblick auf mich und tat ergeben. «Aber wie hätte es auch anders sein können bei einem Mann mit solchen Begabungen und Fertigkeiten?»
Lysias lachte. «Der alte Sokrates ist ein Fuchs und will mir schmeicheln, weil er weiß, dass ich dafür ein wenig empfänglich bin!», erklärte er mir, und sein Gesicht konnte eine Spur von Eitelkeit nicht verbergen. «Aber was soll ich tun? Ich kann ihm einfach nicht widerstehen. Also», und jetzt richtete er seine ganze Aufmerksamkeit wieder auf Sokrates, «worum geht es? Haben sie dich endlich wegen Gottlosigkeit angeklagt, und ich soll die Verteidigungsrede für dich schreiben? Du weißt, ich habe das schon lange kommen sehen!»
«Nein», antwortete Sokrates und wurde ernster. «Es geht um etwas anderes. Du hast sicher schon von dem Mord an Periander gehört?»
Lysias nickte. Der Ausdruck in seinem Gesicht änderte sich vollkommen. Hatte er gerade noch schelmisch gelacht, schien er nun beinahe finster.
«Mein Freund Nikomachos hat vor einigen Tagen einen gewissen Lysippos festgenommen, der wahrscheinlich Perianders Leiche gefleddert hat. Er ist ein armer Teufel, ein Dieb und Säufer. Anaxos – du weißt, wer das ist – wird Lysippos vor den Areopag bringen und wegen des Mordes an Periander aburteilen lassen. Er lässt ihn foltern. Nikomachos ist sich aber sicher, dass dieser Lysippos mit dem Mord nichts zu tun hat. Wenn wir ihm nicht helfen, wird er verurteilt, und Perianders Mörder läuft weiterhin frei herum.»
«Und da dachtet ihr an mich?», fragte Lysias schon wieder heiterer. Es war offensichtlich: Er wollte, dass Sokrates ihm noch einmal schmeichelte.
«Du bist der beste Logograph weit und breit», bemerkte Sokrates. Lysias lächelte. Das hatte er nur hören wollen.
«Ich kann dir und deinem Lob einfach nicht widerstehen», antwortete er und war offensichtlich schon überredet. Plötzlich drehte er sich zu mir und betrachtete mich einen Moment schweigend.
«Wieso bist du dir so sicher, dass dieser Kerl – wie heißt er gleich – Lysippos? – ja, wieso bist du dir so sicher, dass er unschuldig ist?», fragte er. Lysias’ Gesicht, das gerade noch unter Sokrates’ Kompliment erstrahlt war, bekam wieder einen so strengen Ausdruck, dass man sich vor ihm hätte fürchten können. Bei meiner Antwort geriet ich deswegen ins Stottern. Ich verhaspelte mich immer wieder und musste zweimal von vorn anfangen. Lysias legte die Stirn in Falten, blieb aber aufmerksam. Ich
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