Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
Vom Netzwerk:
reden, und stellte ihm daher keine Fragen. Stattdessen kam ich auf Lysias zu sprechen. Es war ein eigentümlicher Mensch, der uns da gerade begegnet war: freundlich, offen und herzlich auf der einen Seite, finster, überheblich und eitel auf der anderen. Ich wusste nicht, ob ich ihn mochte oder nicht doch eher von ihm abgestoßen war.
    «Lysias ist sehr schwierig», bestätigte Sokrates meinen Eindruck, «und gerade seine Überheblichkeit verstehe ich nicht. Ich glaube, er bemerkt es nicht einmal, wenn er die Menschen vor den Kopf stößt. Aber er hat ein gutes Herz und hat noch niemanden abgewiesen, der seine Hilfe brauchte. Er hat schon tagelang an Reden gearbeitet, um die ihn arme Leute gebeten hatten, weil sie in einem Prozess Haus und Hof zu verlieren drohten – und das, ohne auch nur eine Drachme anzunehmen. Wenn sie nicht lesen können, spricht er ihnen sogar vor, bis sie jeden Satz auswendig kennen. Aber dann kann er auch wieder schroff und grob werden, nur weil ihm jemand widerspricht.»
    «Woran liegt das, meinst du?», fragte ich.
«Schwer zu sagen. Ich denke, es war nicht leicht für ihn, ein Metökenkind in Athen zu sein. Er durfte nie ganz dazuzugehören, und gerade ihm hätte das viel bedeutet. Er ist sehr auf andere Menschen und ihren Zuspruch angewiesen, wie du sicher bemerkt hast. Die Überheblichkeit war ein Schutz für ihn, dann wurde sie eine Last. Jede Mauer schützt und sperrt zugleich ein.»
Inzwischen waren wir am Marktplatz angelangt. Die Akropolis erhob sich in ihrer ganzen Majestät. Wie Sokrates gehofft hatte, warteten seine Schüler in der bunten Stoa. Sie waren in irgendeiner heftigen Debatte begriffen und schon von Weitem zu erkennen. Als sie ihn sahen, verstummten sie augenblicklich.
«Entschuldige, Sokrates, eine letzte Frage», sagte ich, bevor er sich wieder ganz seinen Schülern widmen würde. «Als ich vorhin gesagt habe, ich wisse nicht, was richtig sei, aber es gebe etwas in mir, das mit mir spricht, dachte ich, du würdest mich auslachen, aber das hast du nicht. Warum?»
Sokrates blieb vor mir stehen und schmunzelte.
«Das ist ganz einfach», antwortete er. «Es geht mir genauso. Es ist mein guter Geist. »
Und damit verabschiedete er sich, um sich wieder seinen Schülern Platon, Xenophon, Antisthenes und Aristippos zu widmen.
    ich entschied mich, auf meinem Weg zur Kaserne einen kleinen Abstecher zum Gefängnis zu machen, um nach Lysippos zu sehen. Bias begrüßte mich dienstfertig. Ob schon jemand nach Lysippos gefragt habe? Ja, den ganzen Morgen über gingen die Besucher schon ein und aus. Erst sei der junge Arzt gekommen und habe nach dem Gefangenen gesehen. Es gehe Lysippos wohl den Umständen entsprechend gut; die Wunden hätten sich nicht entzündet. Kurze Zeit nach Chilon sei eine junge Frau erschienen, einen zweijährigen Jungen bei sich. Sie habe sich als Lysippos’ Tochter vorgestellt und ihrem Vater einen Korb mit Speisen gebracht. Er habe es einfach nicht fertiggebracht, sie am Tor abzuweisen; ihre Augen waren so rot und verheult. Zu guter Letzt sei auch noch Myson da gewesen. Der habe aber nur gefragt, wie es Lysippos gehe, um dann wieder zu verschwinden. Anaxos oder seine Soldaten hätten sich aber nicht blicken lassen.
    Wir gingen zusammen in den Gefängniskeller, und Bias öffnete die Tür. Lysippos saß, das verletzte Bein sorgfältig verbunden, auf einer dicken Strohmatte und aß. Gesicht und Körper waren gewaschen, um Brust und Lende trug er ein sauberes Tuch. Ein ganzer Korb mit Brotfladen, Obst und getrocknetem Fleisch stand neben ihm. Die junge Frau hatte ihn offenbar gut versorgt. Er betrachtete mich aus dem Augenwinkel. In seinem Blick lag der Ausdruck eines misstrauischen Tieres. Hatte ich erwartet, dass er sich bedankte? Ich bat Bias, uns allein zu lassen. Erst nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, fragte ich Lysippos, wie es ihm gehe.
    «Wie soll es mir schon gehen?», antwortete er und zeigte auf sein Bein.
«Es tut mir leid, was man dir angetan hat. Ich konnte es nicht verhindern. Das waren nicht meine Leute.»
«Aber du hast mich verhaftet.»
«Du hast gestohlen.»
Lysippos zuckte mit den Schultern und biss in ein Stück Dörrfleisch. Natürlich hatte er gestohlen. Was hieß das schon? Das war für ihn völlig ohne Belang.
«Kannst du lesen?», fragte ich ihn. Er nickte, ohne mich anzusehen, dann spuckte er irgendetwas aus, vielleicht einen kleinen Knochen.
«Sie werden dich vor den Areopag bringen. Auch dagegen kann ich nichts

Weitere Kostenlose Bücher