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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
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Räuspern meines Vaters. Er stand hinter mir. Ich drehte mich um und begrüßte ihn.
«Verzeih mir, wenn ich dich geweckt habe, Vater», entschuldigte ich mich, «ich konnte nicht mehr schlafen.»
«Das macht nichts, mein Junge», entgegnete er mit noch von der Nacht belegter Stimme. «In meinem Alter braucht man nicht mehr so viel Schlaf. Aber du bist noch jung, du solltest schlafen können. Was ist mit dir, was bedrückt dich?»
«Nichts. Ich bin nur zu früh aufgewacht», antwortete ich und bemühte mich um ein Lächeln, das mir aber vollständig misslang.
«Ich verstehe es gut, wenn du nicht mit mir sprechen willst», sagte mein Vater vollkommen ruhig. «Du hast Angst, ich würde mir um dich zu viele Sorgen machen, und das würde ich sicher auch. Wie alle Väter, die ihre Söhne lieben. Aber mache deinen Kummer nicht mit dir alleine ab. Er wird sonst zu groß.»
Er drückte mir kurz die Hand und ging leise zurück ins Haus. Ich sah ihm nach, bis er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Er hatte recht. Ich konnte diesen Kummer nicht alleine tragen. Ich musste mit jemandem sprechen, und ich wusste auch, mit wem.
    Ich wartete beinahe den ganzen Vormittag und schlenderte immer wieder von der bunten Stoa zu Simons Werkstatt, bevor Sokrates in Begleitung einer Gruppe junger Männer lachend auf dem Marktplatz erschien. Es war ein merkwürdiger Haufen, der sich da um ihn geschart hatte: Einer von ihnen schien ausgemergelt, fast verhungert, und trug einen groben, viel zu großen Mantel am dünnen Leib. Trotzdem war er bester Laune. Gerade neben ihm spazierte sein vollkommenes Gegenstück: ein in Seide gekleideter Jüngling mit frisiertem Kopf und gesundem Bauch. Auch er lachte aus vollem Hals. Hinter Sokrates ging Platon mit seinem immer noch viel zu ernsten Gesicht und neben ihm ein großer, ein wenig ungelenk wirkender Ephebe, der Sokrates angestrengt zuhörte. Er sah ein wenig aus wie ein Schüler, der verzweifelt versucht, seinen Lehrer zu verstehen, aber schon weiß, dass es ihm nie ganz gelingen wird. Ich ging auf die Gruppe zu und sah zu meinem Erstaunen, dass Sokrates’ grauer Mantel völlig durchnässt war.
    «Guten Tag, Nikomachos», begrüßte er mich freundlich und zeigte auf seine nassen Kleider. «Da hat nun der Hauptmann der Bogenschützen endlich den Weg zu mir gefunden, um mit mir über Tugend und Gerechtigkeit zu sprechen, und wen sieht er vor sich? Einen begossenen Pudel. Er muss mich für einen Narren halten.»
    Die Bemerkung löste größte Heiterkeit aus, ein geheimer Witz, den nur Eingeweihte verstanden. Die beiden merkwürdigen Antipoden lachten lauthals los, der junge Soldat feixte, aber am meisten freute Sokrates selbst sich über seinen Scherz. Nur Platon verzog keine Miene. Er sah bleich und müde aus.
    «Entschuldige, wenn wir lachen», sagte Sokrates, «meine lieben Schüler haben mich gerade von zu Hause abgeholt, und Xanthippe hat wieder geschimpft. Du hast sie ja kennengelernt. Sie wollte mich hässlichen Kerl einfach nicht gehen lassen! Erst gab es Streit, und dann hat sie mir auch noch einen Eimer Wasser hinterhergeschüttet. Also sagte ich: ‹Erst macht Xanthippe ein Donnerwetter, und dann lässt sie es auch noch regnen› …»
    Die unterschiedlichen Brüder prusteten wieder los, und der große Kerl lachte gutmütig mit.
«Aber komm, Nikomachos, ich stelle dir meine Schüler vor», sagte Sokrates und deutete auf seine Begleiter. «Platon hast du schon kennengelernt, nicht wahr? Das hier ist Antisthenes. Du siehst den Mantel? Er trägt ihn doppelt, damit er nachts darin schlafen kann, und so sehen er und sein Mantel auch aus. Ich fände das unbequem, aber er möchte es so.
Unser überaus gepflegter Freund heißt Aristippos. Er stammt aus Kyrene, und sicher gibt es zwischen seiner Heimatstadt und Athen keine Hetäre, der er nicht das Herz gebrochen hätte. Dieser große und stattliche Kerl schließlich ist Xenophon …» Er deutete auf den gutmütigen Soldaten, als er mir in die Augen sah. Sokrates hielt unwillkürlich inne, legte den Kopf zur Seite und schien mir ins Herz zu sehen.
«Entschuldigt, meine Freunde», sagte er an seine Schüler gerichtet. «Ich fürchte, ich muss euch eine Weile allein lassen. Unser neuer Freund braucht meine Hilfe.» Platons Gesicht verfinsterte sich, Xenophon schien überrascht. Sokrates nickte seinen Schülern gutmütig zu, hakte sich bei mir unter und führte mich weg.
Wir gingen über den Marktplatz, ohne dass ein Wort fiel. Unser Weg führte an

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