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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
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berichtete kurz von dem Leichenfund, von Hippokrates’ schrecklicher Entdeckung im Rachen des armen Periander und den Beobachtungen der alten Wäscherin.
Während ich sprach, hielt Lysias die Hände zusammen, sodass sich die Fingerkuppen berührten. Er hatte weiße, weiche Hände, die kaum je gearbeitet oder ein Schwert geführt hatten. Nachdem ich meine Beobachtungen zusammengefasst hatte, bat er mich, Lysippos selbst zu beschreiben. Alles schien er über ihn wissen zu wollen: was er tat, wer seine Eltern waren, ob er Kinder hatte, wie Lysippos aussah, wie er sich kleidete, wie er sprach, wie er roch … Die Kriegsverletzung interessierte ihn besonders. Zweimal musste ich sie genau beschreiben und zweimal schildern, wie Lysippos bei der Schlacht um Pylos sein Bein verloren zu haben behauptete.
«Das ist es», sagte Lysias, «damit lässt sich etwas machen. Ich schreibe euch die Rede. In drei Tagen wird sie fertig sein. Lysippos wird sie auswendig lernen müssen, und zwar so gut, dass er sie im Schlaf aufsagen kann. Und du, Nikomachos, du musst dich von ihm als Zeuge rufen lassen.»
Das hatte ich befürchtet, und ich war dazu bereit, aber wohl, nein, wohl war mir nicht dabei!
«Du weißt, was das bedeuten kann?», fragte Lysias und zog eine Augenbraue hoch.
Ich bejahte, und es war mir angst und bange. Lysias nickte. Sokrates sah zur Decke und schien wieder mit sich selbst zu sprechen. Ich denke, beide verstanden, wie es mir ging.
«Wissen wir eigentlich schon, wer die Anklage führen wird?», fragte Lysias nach einer Weile. Ich schüttelte den Kopf. Darüber hatte ich mir noch keine Gedanken gemacht.
Lysias schloss die Augen und ließ seine Zeigefinger aufeinandertippen.
«Ich glaube, wir wissen es schon», sagte er nach einer Weile. «Wer, sagtest du, war in Perianders Vaterhaus, um den Eltern beizustehen?»
«Kritias, warum?»
«Nun», sagte Lysias offenbar erstaunt, dass ich überhaupt noch nachfragte, «da haben wir unseren Ankläger! Meinst du, er lässt sich diese Gelegenheit entgehen? Eine ruhmreiche Anklage für einen gebrochenen Freund, ein Angeklagter wie Lysippos! Das ist ihm ein Fest. Was könnte ihm denn mehr Gelegenheit geben, um gegen die Demokratie zu wettern, und was könnte seiner Eitelkeit mehr schmeicheln als ein solcher Prozess? Kritias vor dem Areopag! Ich sehe ihn vor mir, wie er vor den Richtern auf und ab stolziert … Manchmal staunt man schon, was aus ihm geworden ist, nicht wahr, Sokrates?»
«So ist es, mein lieber Lysias», entgegnete Sokrates.
«Ihr kennt euch? Ich meine, ihr beide seid mit Kritias bekannt?», fragte ich erstaunt. Ich wäre nicht auf den Gedanken gekommen, dass der reiche und überhebliche Kritias irgendetwas mit Sokrates zu tun haben könnte. Sokrates war sein völliges Gegenstück. Lysias schwieg beredt. Die Antwort stand in seinen Augen – auch dies ein Erbe seiner sizilianischen Heimat. Er deutete auf Sokrates.
«Oh ja», antwortete der, «er war einmal mein Schüler – wie Alkibiades auch. Hast du das nicht gewusst?»
«Nein», entgegnete ich überrascht, «das wusste ich nicht.»
«Es ist lange her», sagte Sokrates, und seine Stimme klang wehmütig. «Die beiden waren die begabtesten Söhne Athens damals – mit Ausnahme von Lysias natürlich. Wie gesagt, das ist lange her. Es wachsen viele Blumen in meinem Garten, aber manche davon nicht so, wie der Gärtner es wollte.» Er hielt kurz inne und sah zu Boden. «Und manche haben auch Dornen bekommen», fügte er hinzu.
«oder sie sind giftig …», ergänzte Lysias lakonisch.
Es war Zeit zu gehen. Lysias begleitete uns zur Tür, wo wir uns verabschiedeten, und ich versprach, unseren Gastgeber über Anaxos’ weitere Pläne und die geplante Verhandlung vor dem Areopag auf dem Laufenden zu halten. Spätestens in drei Tagen sollte ich wiederkommen. Bis dahin würde Lysias’ Verteidigungsrede für Lysippos fertig sein.
    In Kephalos’ Haus war es angenehm kühl gewesen. Nun standen Sokrates und ich wieder auf der Straße und in der Hitze dieses gewaltigen Sommers. Wir kehrten zur Agora zurück. Sokrates hoffte, dass seine Schüler noch in der bunten Stoa auf ihn warteten, und ich wollte noch ein wenig bei ihm sein. Ich hätte ihn gerne nach Alkibiades und Kritias gefragt. Es fiel mir schwer zu begreifen, wie er, der so wenig auf Äußerlichkeiten gab, ausgerechnet mit den beiden Athenern hatte umgehen können, denen Macht, Ruhm und Reichtum am meisten bedeuteten. Aber ich fühlte, Sokrates wollte nicht über sie

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