Mord im Garten des Sokrates
fertigte einen fest sitzenden Verband. Lysippos stöhnte in seiner Ohnmacht, während Chilon den Fuß umwickelte. Ich zeigte fragend auf den nach unten abgeknickten Spann. Chilon schüttelte den Kopf.
«Hammerschlag», sagte er und zuckte mit den Schultern. Dagegen war er machtlos.
Nachdem Lysippos’ Fuß verbunden und die Wunden an seinem Körper mit einer Talgsalbe verarztet waren, verließen wir den Raum. Lysippos war von seiner Ohnmacht in einen tiefen Schlaf gesunken, wie Chilon festgestellt hatte. Schweigend folgten wir Bias’ Lampenschein den dunklen Flur entlang und die Treppe hinauf. Als wir auf dem Vorplatz angekommen waren, fragte ich Chilon, wie Lysippos Fuß so zugerichtet worden war.
«Die kleinen Einstiche im Fuß rühren von einem persischen Schuh. Du weißt schon, der Metallschuh mit nach innen zeigenden Nägeln. Aber diese Verletzungen sind nicht allzu tief. Sie haben ihn wahrscheinlich abgenommen, um sich dem Gelenk zu widmen. Das haben sie vollständig ausgekugelt, wozu sie vermutlich eine große Zange oder etwas von der Art benutzt haben. Die Verletzungen am Mittelfuß rühren von einem schweren Hammer her. Sie haben ihn einfach zertrümmert. Kein schöner Anblick», antwortete Chilon mit einer Sachlichkeit, die mich schaudern machte. Er war wohl doch schon sehr viel mehr Arzt, als ich dies gerade noch vermutet hatte. Bias dagegen hatte die Wunden schon nicht anschauen können und war mit jedem Satz, den Chilon sprach, einen Schritt von uns weggegangen. Er wollte nicht auch noch genau wissen, was mit Lysippos geschehen war. Ihm genügte das, was er gesehen und gehört hatte, vollkommen.
«Ich frage mich nur, wieso sie ihm den persischen Schuh so früh abgenommen haben», fuhr Chilon in seinen Überlegungen fort. «Die Dinger sind ungemein schmerzhaft, und man kann die Qual langsam steigern, ohne dass das Opfer gleich in Ohnmacht fällt. Einer solchen Folter widersteht niemand lange.»
Ich kannte den Grund. Er war denkbar einfach. Sie hatten den persischen Schuh nicht mehr gefunden, als sie die Folter heute Nachmittag hatten fortsetzen wollten. Ich hatte ihn weggenommen. Deswegen mussten Anaxos und sein Gehilfe mit dem gespaltenen Gesicht andere Werkzeuge zum Einsatz bringen. Sie haben sich sicher in unserem Stall oder in der Waffenkammer bedient. Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Dass die Folterknechte um gutes Werkzeug verlegen wären?
Ich hatte genug. Für heute musste ich nicht noch mehr erfahren. Ich bat Bias um zwei Laternen, damit Chilon und ich unseren Weg nach Hause finden konnten, bezahlte Chilon großzügig von dem Geld, das mir Anaxos gegeben hatte, und trat erschöpft meinen Heimweg in den Kerameikos an. Dass Aspasia mich dort mit dem Abendbrot erwartete und nicht fragte, was geschehen war, war der einzige Lichtblick dieses Tages.
ich erwachte, als der Morgen dämmerte. Kalter Schweiß trat mir auf die Stirn. Periander in seinem Totengewand, Anaxos, Lysippos und Myson standen als ins Reich des Tages getretene Traumgespinste um mein Bett und betrachteten mich. Sie hatten sich aus der Welt des Schlafes hinüberretten können und verweilten einen Moment schweigend bei mir. Dann drehte sich einer nach dem anderen um, wandte mir den Rücken zu und gemeinsam kehrten sie zu ihrem Herrn Morpheus zurück. Ich schmeckte Metall im Mund. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Vorsichtig stand ich auf – Aspasia schlief nie sehr tief – und ging leise in den Garten hinaus.
Kühle Morgenluft begrüßte mich. Ein leichter Nebelschleier lag über dem Gebirge. An den Blättern des Feigenbaumes hing der Tau, den die Nacht vom Meer her zu uns gebracht hatte.
Was konnte ich tun? Lysippos musste gestern jeden Vorwurf gestanden haben, den man nur gegen ihn erhob, gleichgültig, ob man ihn des Mordes an Periander oder irgendeines anderen Verbrechens beschuldigt hatte. Anaxos würde ihn vor den Areopag bringen. Das Todesurteil war schon gewiss. In Lysippos’ Hinrichtung fände der Zorn der Aristokratie seinen Höhepunkt, sein Ziel und sein Ende. Die Stadt wäre wieder befriedet, die Bürgerschaft beruhigt. Für dieses Mal bliebe der Umsturz aus. Von dem wirklichen Mörder Perianders aber fehlte jede Spur. Nach Lysippos’ Tod würde kein Mensch mehr nach ihm suchen, ja wer es versuchte, würde daran gehindert. Ich war also keinen Schritt weitergekommen. Im Gegenteil, ich war zurückgefallen. Die Steine in meiner Tasche waren nicht Teile eines Mosaiks. Es waren einfach nur Steine.
Ich hörte das
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