Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Berst
Vom Netzwerk:
«Möchtest du, dass der Hauptmann hier als dein Zeuge aussagt?»
Lysippos sah mit leerem Blick zu ihm auf. Langsam schüttelte er den Kopf.
Der Vorsitzende beriet sich abermals mit den anderen Richtern und fragte Lysippos schließlich frei heraus: «Gibst du zu, dass du Periander erschlagen hast?»
Lysippos dachte kurz nach, dann nickte er.
«Dann gibt es hier für den Hauptmann nichts auszusagen!», sagte der Vorsitzende.
Das waren seine abschließenden Worte. Ein letzte, kurze Verständigung auf der Richterbank; die Areopagiten erhoben sich und nahmen die Lorbeerkränze vom Haupt.
Der Spruch ging unter in donnerndem Applaus. Lysippos war zum Tode verurteilt, während der letzte Tropfen der Wasseruhr fiel.
Jetzt gab es nur noch einen, der helfen konnte. Ich drängte aus dem Saal, zwängte mich, mit beiden Armen rudernd, durch die Menschenmenge im Vorraum und vor dem Gericht und rannte zum Strategenpalast hinüber. Die Eingangswachen sahen mich, erschraken und zögerten einen Augenblick zu lange. Ich stürmte ungehindert an ihnen vorbei. Von Sinnen muss ich ihnen erschienen sein. Ich lief durch die Gänge des Strategions und rief lauthals nach dem einzigen Mann, der mir noch helfen konnte: Alkibiades. Wie ich den Eingang zum Strategensaal wiederfand? Ich weiß es nicht. Plötzlich stand ich davor, riss die gewaltige Tür auf und fand Alkibiades mit zum Kampf gezücktem Schwert vor mir stehen. Er hielt mich für seinen Mörder, das war gewiss. Noch bevor er aber sein Schwert gegen mich heben konnte, warf ich mich ihm zu Füßen – gerade hatten mich die Wachen eingeholt und wollten mich ergreifen.
Es folgte ein Moment erstarrter Stille. Einem jeden ging der Atem schwer. Der Geruch von Angst lag in der Luft, genährt aus meinem Schweiß, dem Schweiß der Wachen und dem Schweiß des Strategen. Alkibiades war der Erste, der sich wieder fing. Er trat, sein Schwert immer noch gezückt, einen Schritt zurück und hieß mich aufstehen. Ich erhob mich, blieb jedoch auf den Knien und wagte es nicht, Alkibiades in die Augen zu sehen.
«Verzeih, o Tyranne, wie ich hier eingedrungen bin, verzeih, dass ich dich erschreckt habe», begann ich stammelnd. «Ich erbitte deine Hilfe. Ich erflehe sie! Du kannst großes Unrecht verhindern. Der Areopag hat einen Unschuldigen zum Tode verurteilt! Lysippos ist nicht Perianders Mörder.»
Alkibiades senkte das Schwert und lachte, bis er sich die Tränen aus den Augen wischen musste.
«Oh, Nikomachos, du erstaunst mich immer wieder!», sagte er feixend. «Du stürmst herein wie ein wütender Stier … Ich dachte, du wolltest mich erschlagen, und dann bittest du für jemanden wie Lysippos! Beinahe hätte ich dir den Schädel gespalten! Wer sagt dir denn, dass Lysippos unschuldig ist, wenn der Areopag ihn verurteilt hat? Bist du klüger als das Gericht?»
Ich ließ den Blick gesenkt und wagte nicht zu antworten.
«Sprich, Nikomachos!», befahl Alkibiades. «Ich möchte wissen, wie du dazu kommst, hier in den Strategenpalast zu stürmen. Sprich! Noch hast du Gelegenheit! Woher willst du wissen, dass Lysippos unschuldig ist?»
«Eine innere Stimme sagt es mir, auch wenn ich nicht klüger bin als die Richter», erwiderte ich mit halb erstickten Worten.
«Eine innere Stimme?», wiederholte er fast belustigt. «Etwa ein guter Geist ?» Alkibiades schüttelte den Kopf, legte sein Schwert zur Seite und bückte sich zu mir herunter. Er legte mir sogar den Arm um die Schultern. «Ich fürchte, mein lieber Nikomachos, du warst zu lange mit meinem alten Lehrer zusammen. Komm, steh auf. Es ist für einen Mann unwürdig zu knien.» Alkibiades zog mich zu sich hoch, tätschelte meine Schulter und lächelte.
«Ich liebte Sokrates einst sehr, weißt du», sagte er dann. «Aber wäre ich seinen tugendhaften Lehren gefolgt, wäre ich jetzt tot. Er wollte, dass ich mich stelle, als mich die Athener zum Tode verurteilt hatten, nur weil ein paar Statuen zerschlagen worden sind. Die Tugend sagte: Stirb ehrenvoll. Aber ich sagte mir: Lebe, Alkibiades, lebe, egal wie! Glaub mir, Nikomachos, hör nicht allzu sehr auf Sokrates. Ein Heiliger genügt Athen vollauf, wir brauchen nicht noch einen zweiten, auch nicht, wenn er Nikomachos heißt.»
Ich stand da und schwieg. Es kam mir vor, als erwachte ich allmählich aus einem Traum, und in mir stieg eine Ahnung dessen auf, was ich gerade getan hatte. Trotzdem fürchtete ich Alkibiades in dieser Stunde nicht. Wir waren, das fühlte ich deutlich, miteinander verbunden.
«Sag

Weitere Kostenlose Bücher