Mord im Garten des Sokrates
mir, Nikomachos, wenn Lysippos nicht der Mörder ist, wer ist es dann?», hörte ich Alkibiades nach einer Weile fragen.
Ich sah ihn offen an. Diesen Namen konnte man nur mutig oder eben gar nicht nennen, also antwortete ich: «Ich glaube, Kritias war es.»
«Kritias?», wiederholte Alkibiades und pfiff durch die Zähne. «Weißt du, was du da sagst?»
Ich nickte. Mehr als alles wusste ich, was ich da sagte.
«Hat du Beweise für deinen Verdacht?»
«Er ist der Autor der », erwiderte ich.
Alkibiades schüttelte den Kopf. «Das hätte ich dir schon früher sagen können! Aber auch wenn man ein so törichtes Buch geschrieben hat, ist man doch noch lange kein Mörder!»
«Ich bin mir sicher», antwortete ich, «es gibt einen Zusammenhang zwischen Kritias und Perianders Tod. Sonst würde Platon den Mörder nicht decken!»
Alkibiades lächelte spöttisch. Er war nicht überzeugt.
«Und es besteht ein Zusammenhang zwischen Perianders Tod und dem Besuch der persischen Bankiers!», schoss es aus mir heraus, ohne dass ich überhaupt darüber nachgedacht hätte.
Alkibiades’ Gesicht wurde ernster.
«Welcher?», fragte er. Er klang äußerst beunruhigt.
Ich senkte den Kopf. Ich wusste keine Antwort und schwieg.
«Anaxos!», rief Alkibiades in den Raum. Ich drehte mich um und sah, wie der Herr der Spione hinter einer Säule hervortrat. Er hatte das ganze Gespräch mitangehört. In seinem Gesicht stand sein süßliches und böses Lächeln.
«Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Besuch der Perser und Perianders Tod?», fragte Alkibiades.
«Nein, mein Herrscher» antwortete Anaxos mit seiner lieblichen Stimme – im gleichen Ton, mit dem er zu Lysippos gesprochen hatte, während er ihm gleichzeitig die mit Nägeln gespickte Manschette um seinen gesunden Fuß legte. «Es gibt keinen Zusammenhang. Lysippos ist der Täter. Er hat gestanden.»
«Unter deiner Folter!», schleuderte ich Anaxos entgegen. Der Teufel blieb ganz gelassen. Er sah Alkibiades unterwürfig an.
«Unser junger Freund, edler Alkibiades, hat eigene Gründe für seinen Verdacht gegen Kritias. Ich wollte sie eigentlich diskret behandeln …», begann er und betrachtete mich mit einem zweideutigen Lächeln.
«Sprich nur», forderte Alkibiades ihn auf.
«Oh, das alte Lied», sagte Anaxos mit geheucheltem Gleichmut, während er mich nicht aus den Augen ließ. «Nikomachos hatte einen kleinen Geliebten. Lykon heißt er. Ein hübscher Bursche mit blauschwarzen Locken und reiner Haut, süß wie der Honig. Nun, ich fürchte, dieser Knabe hat sich von Nikomachos ab- und jemand anderem zugewandt – gerade dem zugewandt, den er nun hier vor deinen Ohren des Mordes bezichtigt – Kritias.»
Was hatte er gesagt? Ich verstand nicht. Einen Moment schien die Zeit stillzustehen. Alles in mir war wie taub. Plötzlich fügten sich die Bilder zusammen. Kritias, wie er Lykon bei unserer ersten Begegnung ansah. Lykon, wie er über den Platz vor dem Strategion ging und mich und Kritias gleichzeitig begrüßte. Er hatte nicht mich gesucht: Er wollte zu Kritias! Deswegen war er so kühl zu mir, so verschlossen, deswegen auch die dumme Anspielung des Jungen in der Palaistra. Der Schatten in Kritias’ Haus!
Alkibiades brach in schallendes Gelächter aus. Er ging zu seinem Thron und warf sich auf das Kissen.
«Ach, so ist das!», sagte er feixend. «Unser alter Freund Kritias hat den Knaben schon früher gerne nachgestellt. Wusstest du, Nikomachos, dass Sokrates sich deswegen mit ihm einmal gestritten hat? Er weiß die süßen Bengel wohl immer noch zu bezaubern!»
Ich stand da und wusste nichts mehr zu sagen. Ich war nicht eifersüchtig, ich war verraten. Ich drehte mich um und verließ den Saal. Die Wachen ließen mich ziehen. Sie grinsten über das ganze Gesicht. Während sich die Flügeltüren hinter mir schlossen, hörte ich Alkibiades immer noch lachen. Ich hatte verloren.
Ich ging nach Hause. Es war Zeit.
ein paar wochen später – Lysippos war bereits hingerichtet –, sah ich die beiden bei der großen Panathenäen-Prozession. Es war ein grauer, ein unglückseliger Tag. Vom frühen Morgen an blies ein feuchter und kalter Wind als Ankündigung künftigen Unheils vom Meer her und trieb Sand durch die Gassen und in die Häuser. Aspasia, die Kinder und Teka blieben zu Hause – zum Glück, so böse schien das Wetter, aber Vater überredete mich, doch zum Dipylon-Tor zu gehen, wo die große Prozession wie immer ihren Anfang nahm.
Als wir ankamen, ging gerade die Sonne auf. Schon
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